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Frühe Brücken
Bei Ollataytambo in Peru, einer der befestigten Inka-
zeitlichen Städte im Urubambatal, gab es eine Brücken-
anlage über den Río Urubamba, die aus zwei Hänge-
brücken traditioneller Bauart hintereinander bestand.
Charles Wiener berichtete über diese Brücke detail-
liert (Wiener 1880:599) und veröffentlichte auch einen
Stich (Wiener 1880:363). Die Gesamtbreite des Flus-
ses wird hier von Wiener mit 104 m angegeben. Aus
der Erinnerung kam dem Autor diese Angabe der Fluss-
breite zu hoch vor. Eine Messung im Google-Earth er-
gab eine Gesamtdistanz für beide Brücken zusammen
von ca. 51 m. Es gibt auch heute an dieser Stelle eine
inzwischen moderne zweigeteilte Hängebrücke, die
ebenfalls den Sockel im Fluss nutzt. Die nordwestliche
der zwei Brücken misst etwa 30 m, die südöstliche Brü-
cke hat nur eine Länge von ca. 17 m. Die Frage, wie es
zu den unterschiedlichen Abmessungen gekommen ist,
kann heute wohl kaum noch beantwortet werden. Der
im Flussbett stehende, etwas außermittig liegende ge-
waltige Brückenpfeiler misst ca. 15 m Länge, 12 m Breite
und 9 m Höhe. Er diente allen Hängebrücken als Über-
leitungszone für die Brückentaue.
Auf dem Pfeiler im Fluss mussten nur Auflager in den
zwei Höhen der Taue für das Überleiten der Zugkräfte
von der einen zur zweiten Hängebrücke errichtet wer-
den. An den zwei Enden der Gesamtbrückenanlage
wurden die Seile jeweils über zwei Pfosten geleitet und
weiter außerhalb im Boden festgemacht.
Der Mittelpfeiler ist bis weit hinauf aus unglaublich
mächtigen Natursteinblöcken relativ roh zusammen-
gesetzt, bei denen ohne genaue Untersuchung nur
schwer zu beurteilen ist, ob sie zufällig im Fluss stehen-
blieben oder von Menschen künstlich zusammengefügt
wurden und dann erodiert sind. Nur in der obersten
Zone erkennt man ein etwas zurückweichendes Mauer-
werk aus vergleichsweise kleinen Natursteinen, das den
Höhenunterschied zu den Brückenenden am Ufer aus-
gleicht. Angesichts der asymmetrischen Lage werden
jedenfalls einige der großen Blöcke schon im Fluss ge-
legen haben, die man zu einem Zwischenpfeiler um-
funktionierte. Man ging wohl davon aus, dass oben
die Kraft des Flusses auch bei Hochwasser so ge-
ring ist, dass das kleinteilige Mauerwerk oben einem
Hochwasserdruck widersteht. Die heutige moderne
Brücke über den Río Urubamba in
Perudem
Stich dargestellten Personen links der Brücke In-
dijenas sind, die meist eine Körpergröße von nur etwa
1,5 m haben. Die vier Türme waren auf beiden Seiten
des Flusses paarweise jeweils mit einem aufliegenden
Holzbalken zu einem Portal zusammengebunden. Über
diese Portale waren die zwei “Handlauftaue“ rechts
und links gespannt. Diese wieder waren über vertikale
Seile mit der Lauffläche verbunden.
An dieser Brücke ist interessant, dass die begehbare
Fläche der Brücke nicht parallel zu den “Handlauf-
tauen“ verläuft, sondern bei den Ankerstellen der Brü-
cke über etwa 3 m hohe Portale gespannt wurden und
nur über eine kurze Strecke nahe der Brückenmitte etwa
Handlaufhöhe erreichten. Es handelt sich bei dieser
Brücke also um eine Übergangsform zu den Hänge-
brücken moderner Bauart. Durch das stärkere Durch-
hängen kann durch die “Handlauftaue“ auch mehr Last
aufgenommen werden, als wenn sie flacher geführt
wären. Hier übernahmen die “Handlauftaue“ offenbar
einen Teil der Tragfunktion der Laufflächentaue. Die
Verbindungsseile zwischen den jeweiligen oberen und
unteren Seilen sind hier nicht mehr allein eine seitliche
Absturzsicherung.
Seit wann an dieser Stelle derartige Brücken errichtet
und immer wieder erneuert wurden, ist nicht bekannt.
Aber auch bei Agavenfasertauen wird man die Brü-
cken nicht allzu viele Jahre haben benützen können,
ohne sie zu erneuern. Natürlich gab es zu dieser Zeit
auch in Europa schon frühe Hängebrücken mit “Trag-
seilen“ aus geschmiedeten Eisendrähten (“Große Brü-
cke“ in Freiburg in der Schweiz) oder mit Eisenketten
(siehe Kettenbrücke in Budapest). Diese Brücken und
ihre Konstruktionsweise könnten einen Einfluss auf die
Form und die Trennung von Handlauf- und Laufflächen-
tauen in Peru in Nachkolumbischer Zeit gehabt haben.
Das ist aber in einem so entlegenen Tal in Peru eher
unwahrscheinlich
Frühe Brücken
Zug- oder druckbeanspruchte Konstruktionen, kreative, innovative und interessante Brücken
- Titel
- Frühe Brücken
- Untertitel
- Zug- oder druckbeanspruchte Konstruktionen, kreative, innovative und interessante Brücken
- Autor
- Hasso Hohmann
- Verlag
- Technische Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-833-2
- Abmessungen
- 20.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 306
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen