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Frühe Brücken
fertigte ein im Auftrag Großbritanniens in Tibet reisender
Pundit A.K. alias Kishen Singh eine detaillierte Zeich-
nung der Brücke an und unternahm offenbar auch ein
Grobaufmaß.
Danach handelte es sich bei dieser Brücke um eine
Konstruktion, bei der die Lauffläche vollständig von den
durchhängenden Eisenketten getragen wurde, bei der
die Lauffläche selbst angeblich horizontal verlief, was
aber angesichts des Durchhanges der zwei Eisenketten
auf einer Schwarzweiß-Aufnahme aus dem Jahr 1904
eindeutig nicht zutreffend gewesen sein kann. Die Brü-
cke zeigte jedenfalls eine klare Trennung von Tragketten
und Lauffläche und damit eine sehr frühe Konstruktion,
die der Konzeption heutiger moderner Hängebrücken
weitgehend entspricht. Die Lauffläche muss aber eben-
falls etwas, aber geringfügig weniger stark als die Ket-
ten durchgehangen haben.
Das ist ein Beleg dafür, dass fast zeitgleich in den
Anden und im Himalaya für größere Hängebrücken
eine Trennung zwischen stark durchhängenden reinen
Tragtauen bzw. Tragketten und angehängten, nicht
tragenden oder zumindest deutlich weniger tragen-
den, aber immer noch etwas durchhängenden und
in manchen Fällen fast schon horizontal verlaufenden
Laufflächen vollzogen wurde. Ursprünglich waren die
oberen Handlauftaue hauptsächlich sich selbst tra-
gend und übernahmen keine tragende Funktion für die
Lauffläche der Brücken. Sie waren deshalb auch meist
schlanker dimensioniert und dienten nur der seitlichen
Absturzsicherung. Bei der Chushuk Chagzam Brücke wurden zwei re-
lativ hohe Brückenportale errichtet, über die man die
zwei Ketten spannen konnte, um sie dann auf der je-
weiligen Rückseite der Portale zum Boden hinunter zu
spannen und im Boden gut zu verankern. Wie dieser
Spannvorgang mit damaligen Mitteln bei dem doch
erheblichen Gesamtgewicht jeder dieser Ketten be-
werkstelligt wurde, ist leider nicht bekannt. Wahrschein-
lich brauchte man lange zugfähige Seile aus vergäng-
lichem Material und viele kräftige Personen, um jeweils
eines der Enden der fertigen zwei Ketten durch den
Fluss auf die zweite Seite zu ziehen und dann noch
mehr Personen auf beiden Seiten, um die zwei Ketten-
enden über die Brückenportale zu spannen. Wie im
Detail der Spannvorgang vor sich ging, wird man heute
nur mehr schwer rekonstruieren können. Es wäre inter-
essant gewesen, die Reste der alten Brücke auf Spuren
dieses Vorganges zu untersuchen.
Der von Pundit gezeichnete Brückenquerschnitt zeigt
auch etwas, das Wadell 1904 nicht mehr fotografieren
konnte, den Laufsteg und dessen Befestigung an den
Ketten. Der Brückensteg war, wie bei vielen dieser Brü-
cken, sehr schmal und bestand aus nur etwa 30 cm
breiten Brettern, die längs hintereinander gelegt die
Lauffläche bildeten. Diese Bretter wurden von Seilen
getragen, die aus Yak-Haar hergestellt und die in Ab-
ständen von etwas weniger als einem Meter an die
zwei Ketten rechts und links angebunden waren. Mög-
licherweise waren die langen Bretter ursprünglich
überlappend verlegt und bei den Überlappungen mit-
einander verbunden.
Abb.: 88
Das Foto zeigt die Chaushul Chagsam Brü-
cke über den Yarlung Tsangpo Fluss bei Hoch-
wasser, die zwei geschmiedeten Ketten und den
Nordturm mit Portal, den Turmdurchgang, sowie
den kleinen Schrein mit aufgesetzter Flammen-
skulptur an der Spitze. Von dieser gehen noch
drei durchhängende fahnenbestückte Stricke zu
den zwei Bäumen rechts und links im Bild und
zur Brücke hinunter, an denen vielleicht auch
buddhistische Gebetsfähnchen in den fünf Far-
ben der fünf Dhyani-Buddhas und mit dem Ab-
bild des Windpferdes damals noch hingen.
Foto: Wadell/Edmund Candler, 1904, Wikime-
dia CC-BY 3.0 AT (siehe Glossar, Abkürzungen 1)
Frühe Brücken
Zug- oder druckbeanspruchte Konstruktionen, kreative, innovative und interessante Brücken
- Titel
- Frühe Brücken
- Untertitel
- Zug- oder druckbeanspruchte Konstruktionen, kreative, innovative und interessante Brücken
- Autor
- Hasso Hohmann
- Verlag
- Technische Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-833-2
- Abmessungen
- 20.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 306
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen