Seite - 13 - in Generative Bildarbeit - Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
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13 In dieser Zuspitzung kommt der Begriff des Erforschens im Titel zum
Tragen. Wenn es nun darum geht, die Bilder der Anderen zu erforschen, muss
weiter gefragt werden, wessen Bilder von wem erforscht werden. Meist sind es
Wissenschaftler_innen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Feldern, die
sich in ihrer Forschung mit Bildern von Menschen auseinandersetzen, welche
nicht im wissenschaftlichen Feld zu Hause sind. Umgekehrt könnten jedoch
auch Menschen auĂźerhalb der Wissenschaften die Bilder von Wissenschaft-
ler_innen erforschen. Und drittens können Wissenschaftler_innen aus einer Wis-
senschaftskultur die Bilder von Menschen einer anderen Wissenschaftskultur
erforschen, denn das Arbeiten mit Bildern gestaltet sich je nach Wissenschafts-
disziplin, Forschungstradition, Gegenstand und individueller Arbeitsweise
sehr unterschiedlich. Während in den Sozialwissenschaften gesellschaftliche
Aspekte durch Bilder erschlossen und Bilder mit Fokus auf ihren Entste-
hungs-, Verwendungs- und Verweisungskontext hin beleuchtet werden, sind
fĂĽr die Kulturwissenschaften beim Umgang mit Bildern deren Eigenlogik und
deren eigenständiger Status von zentraler Bedeutung. Für die Naturwissen-
schaften wiederum spielen Eigenlogik und Kontext von Bildern eine weniger
zentrale Rolle als gewisse Formen von Evidenzerzeugung durch bildgebende
Verfahren. Der Status der Bilder in den Wissenschaften ist also völlig divers —
einmal dienen Bilder als Werkzeuge, dann sind sie selbst Forschungsgegen-
stände oder sie übernehmen die Funktion von Illustration und Beweis. Dem-
nach sind die Anderen immer Menschen, die ĂĽber andere Bilder verfĂĽgen und
mit Bildern anders umgehen, als ich es selbst gewohnt bin — im Zusammen-
treffen ergeben sich daraus Situationen kultureller Differenz (Bhabha 2004).
Als Situationen kultureller Differenz betrachte ich jene Zusammen-
hänge, in denen Menschen, die in verschiedenen Lebenswelten, Wissens-
und Erkenntniskulturen leben, durch miteinander geteilte Phänomene und
Problemstellungen verbunden sind. Dabei beziehe ich mich auf die Ver-
schmelzung interkultureller Begegnungen im täglichen Leben mit inter- und
transdisziplinären Begegnungen in wissenschaftlichen Projekten. Kulturelle
Differenzen bringen sich hier auf verschiedenen Ebenen zur Geltung. Es geht
dabei in der Regel um das Festlegen von Normen, Werthaltungen, Praktiken,
Erkenntnis- und Wissensformen — auf sprachlicher Ebene wie auf der Ebene
von Glaubensfragen, politischer Orientierung und ethnischer oder diszipli-
närer Zugehörigkeit. Ich widme mich hier der Fotografie als konkreter Form
bildgebender Verfahren und verfolge das Ziel, diese als Praxisform fĂĽr das For-
schen in solchen Situationen kultureller Differenz nutzbar zu machen. Dabei
werfe ich auch die Frage auf, um welchen Forschungsbegriff es sich hier han-
deln kann. Dieser lässt sich anhand meiner eigenen Verortung im wissenschaft-
lichen Feld erfassen, da ich mich durch meine wissenschaftliche Sozialisie-
rung in der Nachhaltigkeits- und der Entwicklungsforschung selbst in einem
Forschungsfeld befinde, das von Situationen kultureller Differenz geprägt
ist. Beide Bereiche lassen sich nicht nach einer eindeutigen disziplinären Ver-
fasstheit bestimmen. Die Nachhaltigkeits- und die Entwicklungsforschung
können als inter- und transdisziplinäre Forschungsfelder aus den Wissens-
beständen und Methodenpools verschiedener Disziplinen und Lebenswelten
schöpfen (Fischer/Kolland 2009: 7). Dabei besteht die Herausforderung, diese
in entsprechenden Forschungssettings durch das Definieren und Redefinieren
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Titel
- Generative Bildarbeit
- Untertitel
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Autor
- Vera Brandner
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 276
- Schlagwörter
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Kategorie
- Medien