Seite - 16 - in Generative Bildarbeit - Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
Bild der Seite - 16 -
Text der Seite - 16 -
16
Die Äste des Baumes stellen in Herbriks Modell die Methoden dar, die als
Werkzeuge zu sehen sind, mit deren Hilfe eine gewisse Erkenntnis erlangt
wird. Den Baumstamm — die Verbindung zwischen den Wurzeln, Ästen
und Blättern — bildet die Methodologie, die die Form der Erkenntnisgenerie-
rung fassbar macht. Die Methodologie bedient sich dementsprechend einer
bestimmten Erkenntnistheorie und geht von der Frage aus, welche Methoden
warum und wie im jeweiligen, konkreten Forschungszusammenhang ange-
bracht sind. Im ersten Kapitel beschreibe ich zunächst die verschiedenen
Elemente meines Erkenntnisstammes, um das Wesen meiner Forschungs
arbeit
nachvollziehbar zu machen. Ich erläutere die erkenntnistheoretische Grund-
lage, die auf Pierre Bourdieus praxeologischem Dreischritt (Bourdieu/Wacquant
2006) basiert: das reflektierende Arbeiten zur eigenen sozialen Herkunft, zum
eigenen wissenschaftlichen Feld und zu den unbewussten Denkkategorien,
die dieses in sich birgt. Als weiteren Teil der Methodologie führe ich meinen
Kulturbegriff aus. Hier stütze ich mich auf den Begriff der kulturellen Differenz
nach Homi Bhabha (2004) in Abgrenzung zum Konzept der kulturellen Diversität
und des Multikulturalismus. Im dritten Teil der Methodologie widme ich mich
der Grounded Theory (Glaser/Strauss 2008) als Forschungsstil der vorliegenden
Arbeit. Dabei führe ich die Entstehungs geschichte der Grounded Theory
kurz aus und erläutere meine Positionierung nahe der Reflexiven Grounded
Theory nach Franz Breuer (Breuer 2010). Schließlich wird das Forschungsfeld
beschrieben, das durch das Konzept des Forschenden Lernens (Bundesassistenten-
konferenz 2009; Huber 2009) bestimmt ist. In diesem Forschungsfeld zeigen
sich Menschen und ihre Interaktionen als Forschungsgegenstand, der im
Rahmen einer multiplen Fall
studie untersucht wird. Anschließend führe ich
aus, wie sich mein Vorgehen in den Bereich der Transformativen Forschung
(WBGU 2011) einfügt und damit besondere Bedeutung für transdisziplinäre
Forschungszusammenhänge erlangt.
Kapitel 2 Praxeologischer Selbstversuch
Den Entdeckungszusammenhang und meine Präkonzepte, die der vorliegen-
den Forschungsarbeit zugrunde liegen, erschließe ich im Sinne Bourdieus
(2002) in Form eines praxeologischen Selbstversuchs. Den Begriff des „Selbst-
versuchs“ übernehme ich in Anlehnung an das letzte Werk, das Pierre
Bourdieu vor seinem Tod verfasst hat: „Ein soziologischer Selbstversuch“
(ebd.). Ganz gegen seinen Willen wird dieses Werk immer wieder als Bourdieus
Autobio grafie bezeichnet — dabei versuchte Bourdieu bereits mit seinen ersten
Sätzen genau das zu verhindern, indem er schrieb, er wolle mit diesem Werk
keineswegs mit dem Leben abschließen, sondern „Elemente einer soziolo-
gischen Selbstbeschreibung liefern.“ (ebd.: 9). Wenn ich mich nun in meinem
Zugang zur Wissenschaft an das Konzept des Selbstversuches anlehne,
beziehe ich mich auf die zentralen Aspekte, die Bourdieu meiner Ansicht nach
in diesem Werk vermittelt: den Mut, etablierte Wissensgrenzen infrage zu
stellen und gegebenenfalls zu überschreiten, neu zu definieren, sowie die
Notwendigkeit, als Forscherin durch einen selbstreflexiven Prozess in perma-
nenter Auseinandersetzung mit dem Eigenen zu stehen, um dem Anderen in
angemessener Weise begegnen zu können. Ich führe in diesem Selbstversuch
Bourdieus praxeologischen Dreischritt mit Rekurs auf die „Reflexive Anthro-
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Titel
- Generative Bildarbeit
- Untertitel
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Autor
- Vera Brandner
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 276
- Schlagwörter
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Kategorie
- Medien