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Erkenntnis anhängt.7 Dem Begriff der Praxis kann man nach Bourdieu nicht
gerecht werden, wenn lediglich eine der beiden Seiten, Subjekt oder Objekt,
betrachtet wird. In Bourdieus Theorie der Praxis geht es um die Beziehung
und Wechselwirkung zwischen den Akteursebenen, also darum, den Graben
zwischen Subjektivismus und Objektivismus zu überwinden (Dörfler 2003:
15). Für eine praxeologische Vorgehensweise muss nach Bourdieu und
Wacquant auf drei Ebenen in reflexiver Weise gearbeitet werden:
Die erste Ebene entspricht phänomenologischen bzw. ethno-methodo-
logischen Erkenntnisweisen, in denen das Erforschen und Explizieren der
eigenen Erfahrung eine zentrale Rolle einnimmt.
„Die Erkenntnisweise, die wir die phänomenologische nennen wollen
[...], expliziert die Wahrheit der primären Erfahrung mit der sozialen
Welt, d. h. das Vertrautheitsverhältnis zur vertrauten Umgebung.
Sie begreift die soziale Welt als eine natürliche und selbstverständlich
vorgegebene Welt, sie reflektiert ihrer Definition nach nicht auf sich
selbst und schließt im Weiteren die Frage nach den Bedingungen ihrer
eigenen Möglichkeit aus.“ (Bourdieu 2012: 147)
Die eigene soziale Herkunft rückt auf dieser ersten Ebene in den Fokus und
muss neben den Forschungsinteressen, die sich (zumindest im kultur- und
sozialwissenschaftlichen Feld) meist auf Andere richten, ebenfalls Beachtung
finden. In der Praxeologie Bourdieus wird die phänomenologische Erkennt-
nisweise zwar geschätzt, jedoch warnt Bourdieu vor ihrer ausschließlichen
Anwendung, besonders in Hinblick auf die Gefahr, die jede Form der Natura-
lisierung sozialer Verhältnisse in sich berge: eine selbstbezügliche Auseinan-
dersetzung mit dem Sozialen und dem Kulturellen, die allzu schnell die mate-
rialistische Welt und ihre Bedingungen vergessen lasse (Bourdieu/Wacquant
2006: 66–68; Bourdieu 2012: 147).
Auf der zweiten Ebene sollte der_die Forscher_in nach der eigenen
Position im wissenschaftlichen Feld fragen: Wo stehe ich im akademischen
Feld? Diese Frage verweist auf die Notwendigkeit, zunächst die Beziehungen
im eigenen akademischen Feld zu beleuchten, um die eigene Position darin zu
bestimmen (Vilsmaier 2013). Das Arbeiten auf dieser Ebene der Positionierung
im akademischen Feld stellt eine wichtige Voraussetzung für das empirische
Arbeiten in diversen Forschungsfeldern dar. Erst durch die eigene Positions-
bestimmung innerhalb der Strukturen, in die ich selbst eingeschrieben
bin, kann ich in der Folge auch in eine reflektierte Beziehung zwischen mir
als Forscherin und den Forschungspartner_innen im Feld eintreten.
„Der zweite Bias, der schon sehr viel weniger oft wahrgenommen und
bedacht wird, hängt mit der Position zusammen, die der Wissen-
7 Pierre Bourdieu distanziert sich dabei auch von einem „wissenschaftstheoretischen
Anarchismus“ (Bourdieu/Wacquant 2006: 54) im Sinne von Paul Feyerabend und hebt hervor, dass
methodologische Vielfalt ständig dem Gegenstand und der Fragestellung entsprechend reflektiert
werden müsse.
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Titel
- Generative Bildarbeit
- Untertitel
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Autor
- Vera Brandner
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 276
- Schlagwörter
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Kategorie
- Medien