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Bedeutungssysteme fassen. Allzu schnell seien neue Veränderungen voll-
zogen, die jeglichen Versuch, sie auf allgemeiner Ebene zu erklären und zu
verstehen, obsolet machen. Meist würden kulturelle Differenzen als unüber-
windliche Hürden betrachtet, die jeglichen Austausch über die bestehende
Vielfalt an Wissens- und Praxisformen verhindern. Homi Bhabha zufolge
bieten aber gerade diese Situationen kultureller Differenz die Möglichkeit,
soziale Gegensätze und Widersprüche miteinander wahrzunehmen und zu
verhandeln, anstatt sie zu ignorieren.
“The question of cultural difference faces us with a disposition of
knowledges or a distribution of practices that exist beside each other,
abseits designating a form of social contradiction or antagonism that
has to be negotiated rather than sublated.” (Bhabha 2004: 232)
Damit formuliert Bhabha eine Prämisse für die methodologische Entwick-
lungsarbeit im Rahmen dieser Forschungsarbeit und die hieraus resultierende
Systematisierung Generativer Bildarbeit: Kulturelle Differenz wird nicht als
Hindernis, sondern als (meist ungenützte) Chance für gemeinsames Arbeiten
betrachtet. Es geht dabei um ein Arbeiten, das an den Grenzen des Eigenen
und des Anderen geteilte Phänomene und Problemstellungen zugänglich,
beforschbar und transformierbar machen kann.
1.3 FORSCHUNGSSTIL — GROUNDED THEORY
“Currently, students are trained to master great-man theories and to
test them in small ways, but hardly to question the theory as a whole in
terms of its position or manner of generation. As a result many poten-
tially creative students have limited themselves to puzzling out small
problems bequeathed to them in big theories.” (Glaser/Strauss 2008: 10)
Diese Textstelle aus “The Discovery of Grounded Theory” (2008) von Barney
Glaser und Anselm Strauss verweist auf den Entstehungszusammenhang
der Grounded Theory in den 1960er-Jahren; sie kann aber auch in Bezug auf
gegenwärtige Herausforderungen im Wissenschaftsbetrieb gelesen werden
(Brandner 2015). Wissenschaft zu betreiben sollte demnach unbedingt
mehr bedeuten, als sich die großen Theorien anzueignen, um sie lediglich zu
überprüfen und zu reproduzieren, und dann Anhänger_in der einen oder
anderen etablierten Forschungstradition zu sein. Es müsse auch die Möglich-
keit geben, neue Theorien zu entwickeln und zu erforschen. Mit der Grounded
Theory machten Barney Glaser und Anselm Strauss in den USA einen metho-
dologischen und epistemologischen Vorschlag und leiteten ein Nach- und
Überdenken der bestehenden Strukturen qualitativer Forschung in der
Soziologie ein. In ihrer Forschungsarbeit mit chronisch kranken Menschen
im Krankenhaus begaben Glaser und Strauss sich auf Wege abseits der
standardisierten, theoriegeleiteten Verfahren. Sie legten den Fokus auf das,
was sie im Feld vorfanden, und auf die Interaktionen, die das Feld in Bewe-
gung hielten. Vorwegannahmen, die sie selbst in das Feld projizierten,
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Titel
- Generative Bildarbeit
- Untertitel
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Autor
- Vera Brandner
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 276
- Schlagwörter
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Kategorie
- Medien