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Methodenkenntnis verlangt. Forschung passiert dabei im Feld wie im Kopf
des_der Forscher_in und muss entsprechend den interaktiven Eigenschaften,
die das Feld bietet, gestaltet werden (Brandner 2015). Das Handwerklich-
Methodische reicht jedoch nicht aus, damit von Grounded Theory gesprochen
werden kann. Es mĂŒssen unbedingt auch die jeweiligen erkenntnistheoreti-
schen Aspekte und die damit einhergehende Forschungshaltung expliziert
werden. Erst dies ermöglicht ein analytisches und konsequentes Nachdenken
ĂŒber die sozialen PhĂ€nomene, die im Forschungsfeld erfasst werden können.
Mit einer entsprechenden Kombination von Handwerk und Erkenntnis
theorie
gilt es, beweglich und flexibel zu bleiben, um das eigene forschende Handeln
immer wieder an konkrete Bedingungen anzupassen â um ein Gleichgewicht
zwischen Offenheit und Systematik aufzubauen und zu halten. Egal, ob
man der Glaserâschen, der Straussâschen oder der konstruktivistischen Metho-
dologie folgt, es geht immer um einen Balanceakt zwischen Systematik und
Offenheit, der sich an der jeweils gÀngigen gesellschaftlichen Praxis orien-
tiert. Jedenfalls sollte zu viel Systematisierung nicht dazu fĂŒhren, dass jene
SpontanitÀt und KreativitÀt bei den Anwender_innen verhindert wird, die
Barney Glaser und Anselm Strauss erst dazu gebracht haben, den Forschungs-
stil der Grounded Theory zu entdecken (Glaser/Strauss 2008). Das richtige
MaĂ an Offenheit und Systematik hilft dabei, Entfremdungsprozessen in der
Beziehung zwischen Forscher_in und Gegenstand entgegenzu
wirken (Mey/
Mruck 2011: 13â14).
1.3.1 THEORETISCHE SENSIBILITĂT UND REFLEXIVE OFFENHEIT
In der klassischen Grounded Theory wird von einer apriorischen Theorie-
freiheit ausgegangen â ein Aspekt, um den sich vielfĂ€ltige Diskussionen
ranken. Immer wieder wird gefragt, wie denn Theoriefreiheit möglich sei,
wo wir uns doch von unserer bisherigen Theorieaneignung und den damit
verbundenen Erfahrungen nicht lösen können. Vor allem die Idee, man
mĂŒsse sich zunĂ€chst viel Theorie anlesen und dann fĂŒr das Anwenden der
Grounded Theory alles wieder kurzfristig vergessen, fĂŒhrt den Anspruch
auf ein reflexives SubjektverstÀndnis beim Forschen ad absurdum. Den
Widerspruch, der sich daraus ergibt, beschreibt Udo Kelle folgendermaĂen:
âThus the earliest version of Grounded Theory contained two different
concepts concerning the relation between data and theory with con-
flicting implications: on the one hand the idea is stressed that theoreti-
cal concepts âemergeâ from the data if the researcher approaches the
empirical field with no preconceived theories or hypotheses, on the
other hand the researcher is advised to use his or her previous theoreti-
cal knowledge to identify theoretical relevant phenomena in the data.â
(Kelle 2005: Abs. 48)
Diese Implikationen verlangen von dem_der Forscher_in völlig unterschiedli-
che Haltungen. Beiden in einem Forschungsprozess gerecht zu werden, wird
somit wohl keiner Einzelperson gelingen. Vielleicht wÀre es möglich, diese
zwei widersprĂŒchlichen Voraussetzungen der frĂŒhen Grounded Theory â
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Titel
- Generative Bildarbeit
- Untertitel
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Autor
- Vera Brandner
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 276
- Schlagwörter
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, SituationalitÀt, ReflexivitÀt
- Kategorie
- Medien