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45 bestÀtigen. UnzÀhlige Selfies entstehen dabei, ganz ohne Kamera oder Handy
vor dem Gesicht, ich bemerke es kaum. Als die MĂ€nner aus Afrika in unser
Nachbarhaus einzogen, besaĂen wir noch keine Handys. Unser Telefon war
noch mit einem Kabel an der Wand fixiert, gleich neben dem Fenster in unse-
rem Wohnzimmer, durch das ich â ohne die Gardinen auf die Seite zu schie-
ben â voll Neugier hinausschaute, um die Anderen zu sehen; um zu erkennen,
was an ihnen anders war, im Vergleich zu uns. Es war die Hautfarbe, die
Kleidung. Manchmal, wenn ich genau hinhörte, konnte ich auch ihre fremde
Sprache hören.
âWhy not the quite simple attempt to touch the other, to feel the other,
to explain the other to myself?â (Fanon 1967: XX)
2.1.3 IN POTCHEFSTROM
Meine Sehnsucht nach dem Reisen konnte ich bald ein wenig stillen. Die erste
groĂe Reise ohne Eltern und Geschwister unternahm ich mit einem Chor nach
SĂŒdafrika â ich war 16 Jahre alt. Als wir in Potchefstrom ankamen, wurde
ich von meiner Gastfamilie abgeholt und herzlich aufgenommen. Am ersten
Abend saĂ ich mit den Familienmitgliedern bei Tisch und wurde eingeladen,
mich wie zu Hause zu fĂŒhlen. Das war auch gar nicht so schwer, denn, wie ich
bald feststellte, fĂŒhrte meine Gastfamilie ein Leben, das dem unseren in
Ăsterreich sehr Ă€hnlich schien. Als wir mit dem Essen fertig waren, kam eine
Frau aus der KĂŒche, die ich bis dahin noch nicht bemerkt hatte. Ich stand auf
und stellte mich ihr mit HĂ€ndedruck und Wangenkuss vor, so, wie ich es auch
bei den anderen Familienmitgliedern gemacht hatte. Die Frau â Martha â
wirkte ĂŒberrascht, begrĂŒĂte mich aber sogleich mit aller Herzlichkeit. Ich
wechselte ein paar Worte mit ihr, offensichtlich hatte sie das gute Essen zube-
reitet und ging nun dazu ĂŒber, das Geschirr abzurĂ€umen. Am Tisch herrschte
betretenes Schweigen. Erst als spĂ€ter am Abend die jĂŒngere Tochter der Gast-
familie auf mich zukam und mich fragte, warum ich denn ihrer Bediensteten
die Hand gegeben hÀtte, wurde mir klar, dass ich damit gegen die hÀuslichen
Konventionen verstoĂen hatte. Die Bedeutung des Begriffs Apartheid, den
ich als WorthĂŒlse in der Schule kennengelernt hatte, konnte ich nun im Haus
meiner Gastfamilie ein StĂŒckweit erahnen.
âThis is the moment of aesthetic distance that provides the narrative
with a double edge, which like the coloured South African subject
represents a hybridity, a difference ,withinâ, a subject that inhabits the
rim of an âinâbetweenâ reality. And the inscription of this borderline
existence inhabits a stillness of time and a strangeness of framing that
creates the discursive âimageâ at the crossroads of history and literature,
bridging the home and the world.â (Bhabha 2004: 19)
Alltagsrassismus und Ausgrenzung gegenĂŒber jenen, die auĂerhalb stehen â
den Anderen, den Fremden, den osteuropĂ€ischen, tĂŒrkischen und afrikanischen
Nachbarn â waren mir vertraut. Was hier im Haus der sĂŒdafrikanischen
Gastfamilie geschah, berĂŒhrte mich jedoch als etwas Neues, Irritierendes, das
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Titel
- Generative Bildarbeit
- Untertitel
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Autor
- Vera Brandner
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 276
- Schlagwörter
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, SituationalitÀt, ReflexivitÀt
- Kategorie
- Medien