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51 and interrupts the performance of the present. The ‘past-present’
becomes part of the necessity, not the nostalgia, of living.”
(Bhabha 2004: 10)
2.2 DAS DAZWISCHEN ALS ARBEITSPLATZ
An diversen Arbeitsplätzen finde ich Gelegenheit, mich von der rein beobach-
tenden Position wegzubewegen. Was sich zwischen Eigenem und Fremdem
abspielt, bietet mir vielfältige Möglichkeiten, aktiv zu werden und beim Arbei-
ten im Dazwischen mitzuwirken und mitzugestalten. Die Interaktion mit
Menschen aus völlig verschiedenen Lebenswelten zeigt sich an meinen unter-
schiedlichen Arbeitsplätzen als Konstante.
2.2.1 IM MUSEUM
Einer meiner ersten Arbeitsplätze war das Museum — die Albertina in Wien.
Ich war Kunstvermittlerin. Das Team bestand hauptsächlich aus Kunst-
historiker_innen, Pädagog_innen und Sprachexpert_innen. Ich war sozusagen
„weder-noch“. Man hatte mich wegen meiner Fotografieausbildung ange-
stellt, denn meine Chefinnen hielten es für sinnvoll, auch Leute aus der Praxis
als Kunstvermittler_innen im Team zu haben. Der Alltag an diesem Arbeits-
platz war geprägt vom Anschauen, Zuhören, Lesen und Sprechen über Bilder
— nicht vom Bildermachen, wie ich es gewohnt war. Die meiste Zeit ver-
brachte ich mit dem Lesen über Bilder. Vor Ausstellungseröffnungen tausch-
ten wir uns im Team darüber aus, was wir uns im Vorfeld über die Urheber9
der ausgestellten Werke angelesen hatten, um den Museumsbesucher_innen
anschließend die besten Geschichten dazu in knapper, aber anregender Versi-
on weitererzählen zu können. Je nach Spezialisierung meiner Kolleg_innen
wurden verschiedene Narrative mit Blick auf das Werk eines bestimmten
Künstlers entwickelt. Die eine erzählte mehr von der Biografie eines Künstlers,
von seiner sozialen Herkunft bis hin zu seinen Liebschaften, die andere mehr
von seiner Technik, den innovativen Aspekten daran, der Nächste machte
detailreiche Ausführungen zur kanonischen Einbettung eines Werkes oder zu
diversen Farb- und Formtheorien, die darauf beruhten. Manchmal fand ich
mich dabei auf der Suche nach dem „richtigen“ Narrativ wieder. Dann wieder-
um konnte ich mich von dem Wunsch nach der einen, richtigen Antwort
befreien. Während der sieben Jahre, die ich als Kunstvermittlerin tätig war,
begann ich mehr und mehr, die Vielfalt möglicher Perspektiven und herstell-
barer Kontexte bei der Betrachtung von Bildern in den Fokus zu stellen und
die Besucher_innen aktiv in den Vorgang des Bilderlesens einzubinden.
Der Umgang mit der Perspektivenvielfalt und auch mit den Widersprüchlich-
keiten, die dabei für alle Beteiligten erlebbar und verhandelbar werden konnten,
wurden bald zum zentralen Thema meiner Arbeit als Kunstvermittlerin.
9 Die großen Blockbuster-Ausstellungen in der Albertina zeigten ausschließlich Werke von
Künstlern, nicht von Künstlerinnen.
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Titel
- Generative Bildarbeit
- Untertitel
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Autor
- Vera Brandner
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 276
- Schlagwörter
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Kategorie
- Medien