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diesen assoziierten bzw. imaginierten Bildern auch diverse Vorurteile zum
Ausdruck. Stereotype können so thematisiert, hinterfragt, aufgebrochen und
zu neuen Bildern zusammengesetzt werden.
„Das Bild erinnert mich an Tom und Jerry.“ (T1)
„Was?“ (T2)
„Tom und Jerry.“ (T1)
„Ja, da war diese Ente, namens Jack. Sie war sehr zornig auf die
Welt und hat versucht zu fliegen. Sie konnte nicht fliegen.“ (T3)
„Sie hat sich für sich selbst geschämt.“ (T1)
„Und sie konnte nicht schwimmen.“ (T3)
„Mich erinnert das Bild an die Bilder, die wir von Gefängnissen im Irak
kennen. Es drückt für mich aus, dass diese Menschen sehr unterdrückt
sind, sie haben Säcke am Kopf und können nichts sagen.“ (T2)
„Ich habe den Sack am Kopf gar nicht so sehr beachtet wie die
Körperlinien und die Körperhaltung, während er das Bild
gemacht hat. Schau dir die Hand an, wie gespannt sie ist, es ist
als wäre er gespannt und bereit, irgendetwas zu unternehmen.
Er ist bereit, etwas zu tun. Auch wenn da ein Sack am Kopf ist,
da steckt etwas drinnen, was gleich herauskommt.“ (T3)
„Es war das erste Foto, das ich während des Workshops
gemacht habe. Ich war in diesem Moment zornig über die
Gesellschaft, weil mir viele Dinge verboten sind, die ich
gerne tun würde, von denen ich denke, dass sie gut und
richtig sind, aber die Gesellschaft denkt da anders. Wenn
ich mir den Sack über den Kopf stülpe, kann ich das alles,
die Gesellschaft und ihre Verbote, nicht sehen — die ganze
Welt umgibt mich dann, aber ich kann sie vergessen.“ (T4)
(ipsum-Bilddialog, Ramallah 2009)
Zwischen Struktur und Freiheit
Seit 2003 entwickeln wir das Gesamtkonzept und den Methodenpool von
ipsum, machen Projektskizzen, planen Abläufe und schreiben Reflexions-
protokolle, die aus Reflexionsgesprächen des ipsum-Teams und aus Gesprächen
mit den Teilnehmer_innen hervorgehen. Hieraus entstehen verschiedene For-
mate entwicklungspolitischer Bildungsarbeit. Als Workshopleiter_innen und
Moderator_innen befinden wir uns gemeinsam mit den Teilnehmer_innen in
einem intensiven Lernprozess. Grundsätzlich gilt für uns ein Bildungsideal,
gemäß dem wir uns im Sinne Paulo Freires gleichermaßen als Lehrende und
Lernende verstehen.
„Der Lehrer ist nicht länger bloß der, der lehrt, sondern einer, der
selbst im Dialog mit den Schülern belehrt wird, die ihrerseits, während
sie belehrt werden, auch lehren. So werden sie miteinander für einen
Prozeß verantwortlich, in dem alle wachsen.“ (Freire 1978: 65)
Als besonders schwierig erweist sich dieser Balanceakt dann, wenn wir in
Zusammenhängen arbeiten, in denen gemeinhin ein hierarchisches Verhältnis
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Titel
- Generative Bildarbeit
- Untertitel
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Autor
- Vera Brandner
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 276
- Schlagwörter
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Kategorie
- Medien