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Generative Bildarbeit - Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
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82 Eine Bildungskritik Mein Schul- und Studienalltag war zum Großteil von einem Maxwell’schen Dämon (Bourdieu 1998:36) im Bankierssystem der Erziehung (Freire 1978: 57) geprägt.12 Ich wurde, vor allem in meiner Gymnasialzeit, nur selten aufgefor- dert, selbständig zu denken, meiner Neugier nachzugehen und Freude an Erkenntnisprozessen zu entwickeln. Es war jedenfalls eine bequeme Art, mit Bildung zu verfahren — für die Lehrer_innen jedenfalls und für mich irgend- wann auch — spätestens, als ich angemessene Praktiken für das Reproduzieren von Vorgegebenem entwickelt hatte, um im vermeintlich fairen Wettbewerb zu bestehen und durchzukommen. Pierre Bourdieus Analyse des französischen Bildungssystems der 1970er Jahre bildet ab, was ich in den späten 1980er- und dann in den 1990er-Jahren in Österreich selbst erfahren habe. In seiner Analyse bezeichnet Bourdieu das Bildungswesen als Maxwell’schen Dämon und übernimmt damit einen Begriff aus der Physik (Bourdieu 1998: 36), der ursprünglich ein Gedankenexperiment zur Thermodynamik bezeichnet: Durch das Öffnen und Schließen einer Klappe, die sich in der Trennwand in der Mitte eines mit Luft gefüllten Behälters befindet, sollen die sich darin bewegenden Moleküle nach ihrer Geschwindig- keit unterteilt werden, sodass am Ende die schnelleren Moleküle in der einen — dann wärmeren — Hälfte des Gefäßes sind und die langsameren Moleküle in der anderen, dann kälteren. Nach diesem Modell werden, so Bourdieu, auch im Bildungssystem Begabte von vermeintlich Unbegabten, wird Kultiviertes von Banalem getrennt. Ungleichheitsverhältnisse könne man im demokratisierten Bildungsraum nicht offen erkennen, so Bourdieu weiter, doch sie entfalten gerade in ihrer subtilen Ausprägung eine zersetzende Wirkkraft. Die „Illusion der Chancengleichheit“ (Bourdieu et al. 1971) gebe vor, dass sich im schuli- schen Wettbewerb die Talentierteren von den weniger Talentierten abheben und auf diese Weise ihren „natürlichen“, d. h. meritokratisch angeeigneten Platz in der gesellschaftlichen Hierarchie einnehmen. Dieses Ausleseprinzip, das lediglich auf die Aspekte der individuellen Leistung und Begabung rekur- riere, habe allerdings beträchtliche Lücken. Durch die institutionelle Fest- schreibung gleicher Startbedingungen für alle Lernenden bei gleichzeitigem Ausblenden sozioökonomischer Unterschiede schreibe sich die Illusion, dass Lernende lediglich aufgrund geringerer Fähigkeit oder mangelnder Leistung versagen, weiterhin in unser Gesellschaftsbild ein. Diverse horizontale Ungleich- heiten, wie etwa Geschlecht oder Migrationshintergrund, sowie vertikale Ungleichheiten, wie Einkommen und angeeignetes oder vererbtes kulturelles und soziales Kapital, bleiben, so Bourdieu, dabei verborgen. So ist das gängige Bildungsverständnis auch von einer „Verinnerlichung des Bewusstseins des Konkurrierens“ geprägt (Huisken 2011). Bildung bedeutet gleichsam Wett bewerb und erschwert weniger privilegierten Lernenden die Mobilität im sozialen Raum und somit die Möglichkeit, diesen durch neue Positionierungen darin aktiv mitzugestalten (Bourdieu/Passeron 1971: 225). Gefördert wird diese 12 Die theoretischen Ausarbeitungen basieren auf dem Aufsatz „Auf der Suche nach Räumen generativer Bildung“ (Brandner/Winter/Vilsmaier 2015), der im Sammelband „Bildung und ungleiche Entwicklung“ (Faschingeder/Kolland 2015) veröffentlicht wurde.
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Generative Bildarbeit Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
Titel
Generative Bildarbeit
Untertitel
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
Autor
Vera Brandner
Verlag
transcript Verlag
Datum
2020
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-8394-5008-6
Abmessungen
14.8 x 22.5 cm
Seiten
276
Schlagwörter
Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
Kategorie
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