Seite - 92 - in Generative Bildarbeit - Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
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nicht viel Raum. Solcherlei Zugänge wurden eher von Randgruppen an der
Fakultät für Nachhaltigkeitswissenschaften erforscht. Methodenreflexion,
also das Nachdenken über die eigenen Methoden mit Blick auf bestimmte
Inhalte, fand generell wenig statt. Es gab entsprechende Angebote, beispiels-
weise am Methodenzentrum, jedoch wurden diese noch nicht umfassend in
Anspruch genommen.
Ich erkenne bei beiden wissenschaftlichen Feldern — der Internationalen
Entwicklung und den Nachhaltigkeitswissenschaften — eine gemeinsame,
normative Agenda: Lasst uns die Welt retten! Die Nachhaltigkeitswissen-
schaftler_innen in Lüneburg verfolgten diese mit einem problem- und lösungs-
orientierten, eher naturwissenschaftlichen Wissenschaftsverständnis. Die
Wissenschaftler_innen am Universitätsinstitut für Internationale Entwick-
lung in Wien orientierten sich — mit Diskurskritik und Dekonstruktion —
eher an einem kulturwissenschaftlichen Wissenschaftsverständnis. Während
die einen drauflos forschten, um möglichst schnell die Welt zum Besseren zu
verändern, machte sich bei den anderen Kulturpessimismus breit, der jegliches
Handeln obsolet erscheinen ließ. Nach meinen Erfahrungen in beiden Berei-
chen ergeben sich in meinem Feld der Undisziplin eine zentrale methodo-
logische und erkenntnistheoretische Frage: Wie können in undisziplinierten
Forschungsfeldern Bedingungen hergestellt werden, die Forschenden und
Studierenden ermöglichen, gleichermaßen Kritik- und Handlungsfähigkeit in
ihr forschendes Arbeiten zu integrieren?
Im Feld der Undisziplin
Durch meine wissenschaftliche Sozialisierung habe ich mich meist zwischen
Kultur- und Sozialwissenschaften hin und her bewegt. Ich habe bisher keiner
expliziten Wissenschaftsdisziplin angehört, weshalb mir kein spezieller Theo-
riekanon vorgegeben war. Inzwischen nehme ich diese Eigenart meines wis-
senschaftlichen Feldes nicht mehr als Hindernis wahr. Die Undisziplin erlaubt
mir ein gewisses Wildern in den Theorien, durch das ich mir Einblicke in die
verschiedensten Schulen verschaffen kann. Dabei kehre ich jedoch immer
wieder zu einer bestimmten Gruppe von Autoren zurück, deren Zentrum der-
zeit Pierre Bourdieu, Roland Barthes, Homi Bhabha und Paulo Freire bilden.15
Das Wissenschaftsverständnis, das ich bei Bourdieu vorfinde, vermittelt
mir für den Brückenschlag zwischen Methodenforschung und Forschender
Lehre eine gewisse transformative Dimension, die jedoch ohne normative
Überfrachtung auskommt. Loïc Wacquant weist darauf hin, dass für Bourdieu
die Soziologie an sich eine politische Wissenschaft ist, da eines ihrer zentralen
Erkenntnisinteressen darin bestehe, die Struktur und die Mechanismen von
Herrschaftsverhältnissen zu erforschen (Bourdieu/Wacquant 2006: 82). Über
das soziologische Feld hinaus macht Bourdieu die politische Verfasstheit jegli-
cher Erkenntnistheorie explizit:
15 Ich muss bemerken und kritisch hinterfragen, dass meine theoretische Orientierung in
diesem Zusammenhang vordergründig von männlichen Autoren geprägt ist.
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Titel
- Generative Bildarbeit
- Untertitel
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Autor
- Vera Brandner
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 276
- Schlagwörter
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Kategorie
- Medien