Seite - 93 - in Generative Bildarbeit - Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
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93 âTheorie der Erkenntnis und politische Theorie sind nicht zu trennen.
Jede politische Theorie enthÀlt, zumindest latent, eine Theorie der
Wahrnehmung von sozialer Welt.â (ebd.: 82)
Ich finde bei Bourdieu die Möglichkeit, als Forscherin eine politische Haltung
einzunehmen, die sich als Aktivismus im wissenschaftlichen Feld lesen und
sich gut mit dem Wunsch vereinbaren lĂ€sst, die Welt durch gleichermaĂen
kritisches Engagement und kritische Distanz (Elias 1983) zum Besseren zu
verÀndern. Was er als Praxeologie (ebd.: 29) oder als Objektivierung des objek-
tivierenden Subjekts (ebd.: 97) konzipiert, soll dazu dienen, feste Standpunkte
und Perspektiven wahrzunehmen, um diese zu wechseln und in weiterer
Folge die eigenen Wahrnehmungsprinzipien zu hinterfragen und zu verÀn-
dern (ebd.: 93).
Meiner NÀhe zur PhÀnomenologie entsprechend finde ich Anregungen
fĂŒr meine Auseinandersetzung mit der Fotografie bei Roland Barthes. Er
beschreibt sein Werk âDie helle Kammerâ (1985) in einem Interview mit
Guy Mandery als eine PhĂ€nomenologie der Fotografie, also gewissermaĂen
als einen phÀnomenologischen Text zur Erforschung des Wesens der Foto-
grafie (Barthes 2002: 85). Dies stellt er in klaren Kontrast zu z.B. einer sozio-
logischen oder Ă€sthetischen oder historischen Arbeit ĂŒber die Fotografie â
aus diesen Perspektiven heraus gĂ€be es fĂŒr ihn, so Barthes, keine geeigneten
begrifflichen Werkzeuge, um der Fotografie gerecht zu werden, die er in ihrer
Neuheit und in ihrer Differenz zu anderen bildgebenden Verfahren begreifen
wollte.
âWas die PHOTOGRAPHIE anlangte, so hielt mich ein ,ontologischerâ
Wunsch gefangen: ich wollte unbedingt wissen, was sie ,an sichâ
war, durch welches Wesensmerkmal sie sich von der Gemeinschaft der
Bilder unterschied.â (Barthes 1985: 11)
Barthes erforscht seine Wahrnehmungen beim Lesen von Fotografien und
beschreibt sie. Er schreibt dabei â entgegen einem positivistischen Wissen-
schaftsverstĂ€ndnis â nicht teleologisch auf ein Endergebnis hin. Sein Forschen
ist auf den Erkenntnisprozess im Schreiben gerichtet, er kommt immer wieder
auf dieselbe Frage zurĂŒck, wobei die Wiederholung dabei zur Methode fĂŒr
den Erkenntnisgewinn wird.
Vorerst erscheinen mir die ErkenntnisstrÀnge von Barthes und Bourdieu
unvereinbar, vor allem in Bezug auf ihr Methodenrepertoire und ihre Schreib-
weise. Beide Autoren schreiben jedoch immer wieder von einem subjektiven
Standpunkt aus, wodurch sie mich beim Lesen direkt ansprechen. Beide
beziehen die eigene Person durch ihre SelbstreflexivitÀt unmittelbar in ihre
Forschung ein und verweisen darauf, dass sie dies nicht tun, um ihre Individu-
alitĂ€t zu feiern, sondern um durch den RĂŒckbezug auf sich selbst zu einem
gröĂeren Ganzen zu gelangen (Bourdieu/Wacquant 2006: 76â77; Barthes 1985:
26). Je mehr ich mich mit Barthesâ Suche nach dem Wesen der Fotografie und
Bourdieus fotografischem Blick auseinandersetze, desto mehr erkenne ich, was
fĂŒr mich das Wesen der Fotografie ausmacht. Es geht um einen liebevollen
und gleichzeitig kritischen Blickwechsel, egal, welche Rolle ich im fotografischen
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Titel
- Generative Bildarbeit
- Untertitel
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Autor
- Vera Brandner
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 276
- Schlagwörter
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, SituationalitÀt, ReflexivitÀt
- Kategorie
- Medien