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101 und weiteren Wörtern herstellen und dadurch ihr thematisches Universum
erforschen. Dieses lÀsst sich
â[âŠ] nicht im Menschen abgesehen von der Wirklichkeit finden [âŠ],
auch nicht in der Wirklichkeit abgesehen vom Menschen â noch viel
weniger in einem ,Niemandslandâ. Es ist nur innerhalb des Mensch-
Welt-VerhĂ€ltnisses erfassbar.â (Freire 1978: 88)
Freire distanziert sich in seinen spÀteren Schriften ab 1974 vom Begriff der
conscientizacĂŁo, da dieser seiner Ansicht nach in allzu vielen Kontexten zur
Anwendung kam, in denen der ursprĂŒngliche Bedeutungsgehalt verloren
ging (Zachariah 1986: 28):
âWeil ich die Dinge nicht klar aussprach, öffnete ich Naiven, ,Expertenâ,
oder besonders ,TĂŒchtigenâ TĂŒr und Tor: Sie bemĂ€chtigten sich des
Konzepts der ,BewuĂtseinsbildungâ und definierten und benutzen es,
vor allem in Lateinamerika, in reaktionĂ€rer Weise.â (Freire 1981: 63)
Eine Fehlinterpretation des Begriffs sieht Freire beispielsweise darin, den
Begriff conscientizacĂŁo als Synonym fĂŒr revolutionĂ€ren Aktionismus zu ver-
stehen. Dadurch werde die Illusion verbreitet, dass es ausreiche, den Begriff
auf Banner zu schreiben und mit Megafonen zu verkĂŒnden, um eine Revolu-
tion herbeizufĂŒhren (ebd.: 74). Eine andere Spielart, die von christlich geprĂ€gten
guten Absichten getragen, jedoch, so Freire, ebenso wenig zielfĂŒhrend sei,
bestehe darin, conscientizacão zur reinen SymptombekÀmpfung einzusetzen
(ebd.: 74â75). Das Wort conscientizacĂŁo werde so seiner dialogischen Dimension
der Aktion und Reflexion beraubt. Den Unterschied zwischen Freires con-
scientizacĂŁo und diversen machtpolitischen Ausformungen der Bewusstseins-
bildung beschreibt Gerald Faschingeder folgendermaĂen:
âDer Unterschied zwischen den historisch praktizierten BrutalitĂ€ten
von marxistisch oder christlich legitimierten Herrschaftsformen und
dem Ansatz Paulo Freires ist, dass er radikal den Dialog als Weg des
wechselseitigen Lernens einfordert.â (2012: 4)
ConscientizacĂŁo bedeutet demnach fĂŒr Freire, Bildung als dialektischen
Erkenntnisakt zu begreifen. In solchen Prozessen gÀbe es keine Menschen
ohne Welt und keine namenlosen Massen mehr (Freire 1981: 76).
3.1.2 PHASEN DER FREIRIANISCHEN ALPHABETISIERUNG
Nachfolgend beschreibe ich Freires Alphabetisierungsprojekte anhand von
vier Phasen, um daraus die konstitutiven Elemente generativer Bildungsarbeit
abzuleiten und diese fĂŒr die methodologische Entwicklungsarbeit im Rahmen
meiner Forschung nutzbar zu machen.
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Titel
- Generative Bildarbeit
- Untertitel
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Autor
- Vera Brandner
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 276
- Schlagwörter
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, SituationalitÀt, ReflexivitÀt
- Kategorie
- Medien