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Fotos beziehen muss, wie es beispielsweise bei Fokusinterviews der Fall ist
(Merton 1956; Dannecker 2014). Es ist dabei durchaus erwünscht, dass die
Assoziationen zu den Fotos in Themenbereiche führen, die nicht direkt
befragt werden. Die Anwendung dieser Methoden erstreckt sich thematisch
von Forschungsprojekten zu sozialem Handeln auf der Mikroebene bis zu
Untersuchungen von kulturellen Definitionen auf der Makroebene (Harper
2002: 20ff.). Der partizipative und prozesshafte Charakter wird als gering
bewertet, da die Menschen im Feld den Forschungs- und Deutungsprozess
nicht aktiv mitgestalten und beeinflussen können. Durch Interviews erhalten
diese Methoden zwar einen gewissen interaktiven Charakter, jedoch geht es
dabei weniger um Gegenseitigkeit im Gespräch als um eine Befragung, bei
der sich der_die Forscher_in zurücknehmen sollte. Die Interviews werden von
den Wissenschaftler_innen meist inhaltsanalytisch ausgewertet, wodurch die
Deutungshoheit bei ihnen liegt. Allerdings lassen die Interviews, mit einer
gewissen Offenheit geführt, auch prozesshafte Dynamiken zu. So können im
Gespräch durchaus Ambivalenzen und Unvorhersehbares auftreten, was für
die anschließende Analyse von Relevanz sein kann.
Interaktionsebene 2 Autodriving und Autofotografie
Autodriving Die Methode des Autodriving (Arsenian/Cornelison 1960;
Nielsen 1962; Heisley/Levy 1991) stellt eine spezielle Variante der Fotoelizitati-
on dar, bei der die Beteiligten nicht nur Interviewpartner_innen, sondern
auch Referent_innen bzw. Bildmotive sind. Hierbei werden die Menschen im
Forschungsfeld von den Wissenschaftler_innen in bestimmten Situationen
fotografiert und geben in der Folge über diese auf den Fotos zu sehenden Situ-
ationen Auskunft. Die Fotos dienen als Impulse für die Interviewsituationen
und fördern bei den Menschen im Feld die Assoziationsmöglichkeiten zu ihrer
eigenen Situation (Heisley/Levy 1991: 260). Die Methode des Autodriving
eignet sich besonders für Untersuchungen, die nach der Perspektive der Men-
schen auf ihr eigenes Handeln fragen, was beispielsweise in der Nachhaltig-
keits-, Konsum- und Gesundheitsforschung von Interesse sein kann. Der
partizipative und prozesshafte Charakter wird hier als gesteigert bewertet, da
die Beteiligten nicht nur als Interviewpartner_innen mitwirken, sondern
auch als Fotomotive zu Akteur_innen vor der Kamera werden. Der interaktive
Charakter der Methode des Autodriving zeigt sich einerseits in den Situatio-
nen, in denen die Forscher_innen die Beteiligten im Feld fotografieren. Es
muss davon ausgegangen werden, dass den Beteiligten bewusst ist, dass sie
fotografiert werden, was wiederum zu gewissen unbewussten oder bewussten
Verhaltensformen vor der Kamera führen kann. Jedenfalls findet in der Begeg-
nung zwischen den Forscher_innen als Fotograf_innen und den Beteiligten
im Feld als Fotomotive eine gewisse, nicht zur Sprache gelangende Interaktion
statt. Teils interaktiven Charakter hat auch das anschließende Interviewver-
fahren, das jedoch, wie bei Interaktionsebene 1 angegeben, eher als einseitiges
Gespräch im Sinne einer Befragung angelegt ist, bei der die Forscher_innen
weniger sprechen als zuhören. Das Interview wird meist von den Wissen-
schaftler_innen inhaltsanalytisch ausgewertet, die Deutungshoheit liegt also
bei ihnen. Die gemeinsamen Situationen von Forscher_innen und Beteiligten
beim Fotografieren und beim Interview lassen jedoch prozesshafte Dynamiken
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Titel
- Generative Bildarbeit
- Untertitel
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Autor
- Vera Brandner
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 276
- Schlagwörter
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Kategorie
- Medien