Seite - 113 - in Generative Bildarbeit - Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
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113 mit einer gewissen Offenheit zu. Dabei können durchaus Ambivalenzen und
Unvorhersehbares auftreten, was für die folgende Analyse von Relevanz sein
kann.
Autofotografie In der Anwendung der Autofotografie (Adair/Worth 1972;
Ziller/Rorer 1985; Aitken/Wingate 1993) werden die Themen und Schwerpunkte
zunächst von Wissenschaftler_innen definiert. Die Beteiligten werden dann
angehalten, über einen gewissen Zeitraum hinweg selbstständig zu diesen
Themen zu fotografieren. Die eigenständige fotografisch-visuelle Auseinan-
dersetzung der Menschen im Feld ermöglicht die Vertiefung eines vorgegebe-
nen Themas und kann relevante Aspekte sichtbar werden lassen, die ohne
diese Praxis verborgen blieben (Dirksmeier 2013: 82). Die Fotos haben dabei
einen besonderen Status: Sie stellen das zentrale Datenmaterial dar, das von
den Wissenschaftler_innen ausgewertet wird. Die Forscher_innen und die
Teilnehmer_innen sprechen meist nicht miteinander über die Fotos. Darum
eignet sich die Methode der Autofotografie besonders gut für Situationen,
in denen es sprachliche Verständigungsschwierigkeiten gibt. Zu beachten ist
hierbei jedoch, dass die Erstellung und damit die Deutung von visuellen
Codes, die es zu entschlüsseln gilt, von regionalen und kulturellen Besonder-
heiten und Unterschieden geprägt sein kann. Der partizipative und prozess-
hafte Charakter wird hierbei als gesteigert bewertet, da die Beteiligten selbst
zu Fotograf_innen werden und den zentralen Datenkorpus eigenständig in
ihrem Lebensumfeld generieren. Das Interaktive entfaltet sich bei der Auto-
fotografie weniger beim gemeinsamen Sprechen der Forscher_innen und
Teilnehmer_innen über Bilder als im Prozess des Fotografierens der Teilneh-
mer_innen. Der Akt des Fotografierens in ihrem Lebensumfeld regt die Teil-
nehmer_innen bis zu einem bestimmten Grad zur (inter-)aktiven Auseinan-
dersetzung mit diesem Lebensumfeld an. Dennoch haben die Menschen im
Forschungsfeld den Status von Proband_innen: Zwar ist ihr Beteiligungsgrad
beim Generieren des visuellen Datenmaterials höher als beim Autodriving,
doch die Deutungshoheit über diese Daten verbleibt auch hier insofern bei
den Wissenschaftler_innen, als ihnen in Bezug auf die Interpretation ihres
Fotomaterials kein eigenständiger Spielraum eingeräumt wird. In der Analyse
stehen meist die Fotos der Teilnehmer_innen im Mittelpunkt, und nicht der
fotografische Prozess, den die Menschen dabei durchleben. Das bedeutet, dass
die Prozesshaftigkeit eher nicht als Analysekategorie integriert wird.
Interaktionsebene 3 Photo Novella/Photovoice, reflexive/
partizipative Fotobefragung
Bei Photo Novella/Photovoice (Ewald 1985; Buris/Wang 1994, 1997) und refle-
xiver/partizipativer Fotobefragung (Harper 1988; Wuggenig 1991) handelt
es sich um kombinierte Fotografie- und Interviewverfahren. Eine Gemein-
samkeit dieser Methoden besteht darin, dass die Beteiligten im Forschungs-
feld über einen längeren Zeitraum selbst fotografieren und dadurch eine
große Entscheidungsfreiheit in Bezug auf ihre Motiv- und Bildauswahl haben.
In reflexiven Interviews bestimmen sie selbst, zu welchen Bildern sie Aus-
kunft geben wollen und können. Der thematische Kontext der Forschung ist
meist sehr konkret vorgegeben, die Motivwahl der Beteiligten kann jedoch
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Titel
- Generative Bildarbeit
- Untertitel
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Autor
- Vera Brandner
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 276
- Schlagwörter
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Kategorie
- Medien