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von wissenschaftlichen Expert_innen um jenen der Zivilbevölkerung erwei-
tert. Diesem Ansatz wird kritisch entgegengehalten, dass mit dem Fokus auf
erfahrungsbasiertes Wissen von Betroffenen im Forschungsfeld das „Politische“
gegenüber dem „Wissenschaftlichen“ in den Vordergrund gelangen würde;
so schreibt Peter Dirksmeier: „Die Photo Novella ist […] eher ein Instrument
der sozialpolitischen Intervention denn der wissenschaftlich-objektiven Doku-
mentation und Erhebung.“ (2007: 6). Im Rahmen einer solchen Argumenta-
tions linie wird eine eindeutige Trennbarkeit zwischen wissenschaftlichen und
politischen Verfahren gefordert. Weiters ließe sich kritisieren, dass die For-
scher_innen den inhaltlichen Fokus nur in geringem Maß beeinflussen kön-
nen, wodurch wiederum der partizipative und prozesshafte Charakter dieser
Methoden als hoch bewertet werden kann. Grundsätzlich kann der hohe pro-
zesshafte und partizipative Charakter dieser Methode als Vorteil betrachtet
werden, wenn es um das gleichzeitige Erforschen und Verändern von Lebens-
welt geht, wie in transdisziplinären Forschungsfeldern angestrebt. Damit ist
diesen wissenschaftlichen Methoden jedenfalls eine gewisse politische Dimen-
sion inhärent, es kommen Fragen nach Macht- und Herrschaftsstrukturen
auf, die durch den Forschungszusammenhang erst produziert werden und in
die die Forschungsprojekte eingebettet sind (Lorenz/Kolb 2009: 272). Die
beteiligten Menschen haben die Möglichkeit, den Forschungsprozess aktiv
mitzugestalten und durch ihre Teilhabe am Deutungsprozess auch zu inter-
venieren. Ihre visuellen Beiträge tragen im Forschungsprozess zu Ergebnissen
auf verschiedenen Ebenen bei: Es werden Aspekte sichtbar, die durch externe
Forscher_innen unbeachtet bzw. unsichtbar bleiben würden; das öffentliche
Interesse an zentralen Probleme oder Lücken sowie die Aufmerksamkeit auf
politischer und institutioneller Ebene wird durch die Beiträge und Werke der
Betroffenen geweckt; verschiedene kulturelle und politische Aspekte in der
Lebenswelt der Betroffenen werden benennbar und verhandelbar. Dynamiken
und Entwicklungen im Forschungsprozess können als Analysekategorie auf-
genommen werden, wodurch die gemeinsame Wissensproduktion von For-
scher_innen und Beteiligten bis zu einem bestimmten Grad realisiert werden
kann (ebd.: 263). Die generierten Fotos können auch in Gruppen diskutiert
werden, um aus dem visuellen Material Probleme und Möglichkeiten heraus-
zuarbeiten und auf verschiedenen Ebenen Erkenntnisse für den konkreten
Forschungszusammenhang abzuleiten. In einem weiteren Schritt gilt es, diese
Ergebnisse nicht nur in wissenschaftlichen Fachzeitschriften zu veröffentlichen,
sondern sie in Form von Ausstellungen, Weblogs, Bildungsinitiativen an die
Öffentlichkeit zu bringen, um auch auf kommunaler, institutioneller und poli-
tischer Ebene die notwendige Aufmerksamkeit für die erforschten Themen zu
wecken.
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Titel
- Generative Bildarbeit
- Untertitel
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Autor
- Vera Brandner
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 276
- Schlagwörter
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Kategorie
- Medien