Seite - 163 - in Generative Bildarbeit - Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
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163 Der gesamte Theorie-Entwicklungsprozess folgte diesem spiralförmigen,
hermeneutischen Prozess (Breuer 2010: 48).
4.2.2 KODIEREN
“Renaming something is changing your relationship to it.” (Charmaz, in:
Gibbs 2013). Mit dieser Aussage in einem Interview mit Graham Gibbs bringt
Kathy Charmaz die große Bedeutung von Begriffsarbeit im Kodierprozess zum
Ausdruck.20 Das Bilden und Neubilden von Begriffen und damit das Herstel-
len neuer Bezüge und Verhältnisse rückt beim Kodieren ins Zentrum der for-
schenden Tätigkeit (Breuer 2010: 69–72; Böhm 2012; Reichertz 2012). Es gilt
nicht nur, Phänomene zu klassifizieren und zu beschreiben, sondern darüber
hinaus sollte ein Ziel sein, mithilfe der Kodierung Konzepte zu entwerfen,
mit denen diese Phänomene erklärt werden können. Franz Breuer definiert
das Kodieren als „relativ regelgeleitete und erlernbare Prozeduren, die in Aus-
sicht stellen, aus einer Menge qualitativer Daten […] theoretische Konzepte
und Strukturen extrahieren und destillieren zu können.“ (2010: 69). Strauss
und Corbin verweisen auf den hohen Stellenwert der theoretischen Sensibili-
tät, wenn sie ihr Verständnis des Kodierens erläutern: „Kodieren stellt die
Vor gehensweisen dar, durch die die Daten aufgebrochen, konzeptualisiert und
auf neue Art zusammengesetzt werden. Es ist der zentrale Prozeß, durch den
aus den Daten Theorien entwickelt werden.“ (Strauss/Corbin 1996: 39). Mit
Aufb rechen, Konzeptualisieren und Neu-Zusammenstellen ist hier ein metho
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dologisches Konzept gegeben, das ermöglicht, in intensiver Auseinanderset-
zung mit den Daten gleichermaßen Sensibilität wie den Mut zu entwickeln,
„bestimmte Kodes und Kategorien zu er-/finden und auszuarbeiten und diese
anschließend in einem theoretisch unterfütterten und durchdrungenen Modell
wieder zusammenzufügen.“ (ebd.: 70).
Konzept-Indikator-Modell
Der Kodierprozess wurde in mehrmaligen Durchläufen angelegt, wodurch
eine rekursive Erkenntnisbewegung entstand. Als Basis für ein solches
Vorgehen orientierte ich mich am Konzept Indikator Modell (Strauss 1998:
54–55) als methodisch-strukturelle Rahmenbedingung, um bei dieser Form
von forschender Kreativ-Arbeit das Verhältnis zwischen den gewonnenen
Konzepten und den ihnen zugrundeliegenden Daten mit berücksichtigen zu
können. Beim Konzept-Indikator-Modell werden die empirischen Phänomene
als Anzeichen für etwas Dahinterliegendes (Kategorie, Schema, Typus …)
betrachtet. Indikatoren sind in diesem Zusammenhang bestimmte alltags-
weltliche Elemente, die in den Daten konkret auffindbar sind und als sicht-
bare und nachvollziehbare Hinweise auf etwas dienen, das sich dahinter
verbirgt. Dieses Dahinterliegende sind die Konzepte, die es zu entdecken, zu
benennen und zu verknüpfen gilt (Breuer 2010: 71). Grundsätzlich handelt es
20 Graham Gibbs führte dieses Interview mit Kathy Charmaz im Rahmen der „BPS
Qualitative Social Psychology Conference“ an der Universität von Huddersfield, UK. Eine Videoauf-
zeichnung des Interviews ist auf YouTube verfügbar: www.youtube.com/watch?v=D5AHmHQS6WQ
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Titel
- Generative Bildarbeit
- Untertitel
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Autor
- Vera Brandner
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 276
- Schlagwörter
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Kategorie
- Medien