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Generative Bildarbeit - Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
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220 Ich denke, das Schwierige, was auch eine „Grenzerfahrung“ sein kann, ist es, Menschen nicht als Objekte auf Bildern darzustellen. Objekte der Armut, des Hungers und der Unterdrückung, die Hilfe brauchen. (83/III/37) Gerade das unauffällige Fotografieren aber, so scheint mir, ent- hebt den Fotografierten bzw. die Fotografierte ihrer Möglichkeit, Subjekt zu sein, Einfluss auf die Darstellung der eigenen Person zu nehmen und darauf, ob man überhaupt willig ist, sich aus dem zeitlichen und räumlichen Kontext reißen zu lassen, um Objekt zu sein, über das in weiterer Folge ein Häufchen Studierende kluge Sachen zu sagen versuchen. (85/II/2) Schließlich bin ich es, die die Kamera in der Hand hält, die Fotos macht und diese dann, in einem mir passenden Rahmen, präsentiert. Ich denke, das ist der Grund, warum ich kaum Menschen fotografiere, weil ich niemanden „benutzen“ möchte. Außerdem schreibe ich damit, ähnlich wie die Beispiele der Dokumentarfotografie, eine gewisse Überlegenheit fest, denn die Frage: „Wer kann hier überhaupt wen fotografieren, und wer eben nicht?“ stellt sich in diesem Zusammenhang. (73/II/58) Mir wird jetzt auch klarer, warum vor allem unter indigenen Völkern die Angst so weit verbreitet ist, dass durch den Akt des Fotografierens dem Objekt die Seele geraubt wird. Weil es stimmt! Auf dem Foto, das ich dann als Fotografin mitnehme, hat der Mensch, mein Fotoobjekt, keine Seele mehr, ich habe sie ihm gestohlen, indem ich seine Subjektivität, seine Mündigkeit getötet habe und ihn nun besitze. (86/15) Wie abgeschottet müssen die Fotografierenden hinter ihrer Kamera sein! Sie tragen sie wie ein Schutzschild vor sich her und filtern so, was sie sehen, sie sehen Fotos, nicht Menschen. (73/I/40) Tatsächlich, es handelte sich um Motive. Ich ging auf die Straße, um Menschen zu fotografieren, was ich fand, waren Motive. So wie ich eine Hausmauer fotogra- fiere, weil sie mir in diesem Moment als das richtige Motiv erscheint, weil ich eine Digitalkamera habe und unpassende Fotos im Nachhinein problemlos löschen oder einfach nicht benützen kann, so waren die Menschen Motive, die da waren, als ich da war: Deshalb habe ich sie fotografiert. Das konnte ich aber in diesem Moment nicht erklären („Hallo, Sie sind nun mal da, ich fotografiere Sie und nach- her sortiere ich Sie womöglich wieder aus, weil sie nicht in mein Konzept passen“). (94/III/1) Ich mache Menschen zu Objekten, um dann Angst vor dem Umgang mit diesen Objekten zu haben. Wenn ich Ersteres tue, so ist es für mich eine Art forschender oder künstlerischer Akt, bei welchem ich mich aus der Sache herausnehme und zu dem Fotografen [...] werde. Wenn ich Gefühle für Menschen auf Fotografien entwickle, dann deshalb, weil ich den Menschen erkenne [...], nicht aber das Objekt. In meinem Prozess aber trifft beides aufeinander: Es ist für mich evident, dass ich Objekte schaffe [...] und ich habe Angst davor, keine Menschen mehr zu sehen. (94/III/2) Auch ein interessanter Text- kommentar: „Die Bilder zeigen: Wir sind Menschen, keine Vögel, keine Frösche.“ – Hier geht es nämlich um die Person, der der Blick gehört. (97/II/1) Abb. 84 Auszüge aus den Forschungstagebüchern: Subjekt-/Objektverhältnisse
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Generative Bildarbeit Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
Titel
Generative Bildarbeit
Untertitel
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
Autor
Vera Brandner
Verlag
transcript Verlag
Datum
2020
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-8394-5008-6
Abmessungen
14.8 x 22.5 cm
Seiten
276
Schlagwörter
Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
Kategorie
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