Seite - 229 - in Generative Bildarbeit - Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
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229 37), die sich als Ikonophobie beschreiben lÀsst. Zum anderen kommt Begeiste-
rung auf, âdie in Unterstellung einer spezifischen LeistungsfĂ€higkeit von
Bildern grĂŒndet â Ikonophilie oder Ikonomanie.â (ebd.). Die Dimension der
Freude, wie sie sich im Rahmen der multiplen Fallstudie zeigt, lÀsst sich im
Zusammenhang mit idealistischen Positionen betrachten, in denen neue
Technologien als Medien fĂŒr umfassende globale Demokratisierungsprojekte
gefeiert werden (Mirzoeff 2000: 34). Dabei wird angenommen, dass durch Ver-
breitung visueller Medien immer mehr Menschen in immer kĂŒrzerer Zeit die
Möglichkeit erlangen, sich selbst im Sinne der freien MeinungsĂ€uĂerung zum
Ausdruck zu bringen. Fragen der Technisierung, Bildlichkeit und VisualitÀt
erlangen eine entwicklungspolitische Dimension, der modernisierungstheore-
tische Ideale zugrunde liegen. Analog zu den Ergebnissen der multiplen Fall-
studie muss in diesem Zusammenhang mit Verweis auf Gayatri Spivak (2009)
gefragt werden, wer im fotografischen Spannungsfeld auf globaler Ebene
tatsĂ€chlich in der Lage ist zu sehen, wer gesehen wird, wer ĂŒber das Visuelle
sprechen kann und wer tatsÀchlich auch gehört wird. Die Dimension der
Angst, wie sie in der multiplen Fallstudie zutage tritt, lÀsst sich mit kultur-
pessimistischen Positionen verknĂŒpfen, die in den Debatten um den pictorial
turn zum Ausdruck kommen. So schreibt Mitchell:
âDie Fiktion eines pictorial turn, einer Kultur, die völlig von Bildern
beherrscht wird, ist nunmehr zu einer realen technischen Möglichkeit
im globalen AusmaĂ geworden. Marshall McLuhans ,globales Dorfâ
ist heute ein Faktum und beileibe kein tröstliches.â (1997: 17)
Bei Hans Belting findet sich der Begriff des âBilderstrom[s]â (2007: 17), dem
man unfreiwillig ausgeliefert sei. Eine Steigerung dieser Argumentation
bringt VilĂšm Flusser mit seinen ErlĂ€uterungen zu âBilderflutenâ (2002: 71ff.),
die ĂŒber die Menschheit hereinbrechen und zu âexzessiven Formen des Bild-
gebrauchsâ (ebd.) fĂŒhrten. Bei Jean Baudrillard zeigt sich die Dimension der
Angst in einer Warnung vor dem âVerlöschen der Welt in den Bildernâ (1978).
Er argumentiert, dass es durch die Dominanz von Bildern und die gesteigerte
Geschwindigkeit, in der sie verbreitet werden, immer schwieriger wĂŒrde,
zwischen Abbild und Wirklichkeit zu unterscheiden. Sigrid Schade und Silke
Wenk (2011) argumentieren in ihrer Analyse kulturpessimistischer Positionen
um die Bedeutung des pictorial turn, dass Ăngste im Umgang mit Bildern
schon immer bestanden hÀtten, auch lange vor der Entwicklung und Verbrei-
tung neuer Medien. Dabei verweisen sie auf den Umgang mit christlichen Kult-
bildern, aber auch auf die Wirkkraft alltÀglicher PortrÀtfotografie (ebd.: 38).
Was in der multiplen Fallstudie im SpannungsverhÀltnis zwischen per-
sönlichem Begehren und ethischen Idealen zum Ausdruck kommt, die Kom-
plexitÀt und die Ambivalenzen, die das fotografische Spannungsfeld bestimmen,
lÀsst sich auch anhand der Theorieentwicklung von Susan Sontag ablesen.
WĂ€hrend sie mit ihrer Aufsatzsammlung âĂber Fotografieâ eher in den kultur-
pessimistischen Theoriekanon in Bezug auf visuelle Kulturen einstim
mt,
unterzieht sie ihre eigenen Darstellungen rund 20 Jahre spĂ€ter mit âDas Lei-
den anderer betrachtenâ [2003] einer Revision, die idealistischen Positionen
nÀherkommt, indem sie den Schwerpunkt auf das aufklÀrerische Potential der
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Titel
- Generative Bildarbeit
- Untertitel
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Autor
- Vera Brandner
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 276
- Schlagwörter
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, SituationalitÀt, ReflexivitÀt
- Kategorie
- Medien