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spezifische Form der Umsetzung Freirianischer Praxis begriffen werden: Die
Ambivalenzen stellen die Teilnehmer_innen vor die Herausforderung, gewisse
Aktionen zu setzen. Im Gruppenprozess wird über die Ergebnisse dieser Akti-
onen, die fotografischen Werke der Teilnehmer_innen, gesprochen — somit
findet Reflexion über das statt, was die Bilder zu sehen geben, aber auch über
die Erfahrungen, die die Teilnehmerinnen beim Fotografieren gesammelt
haben. Eigene Bilder und Erfahrungen werden mit jenen der Anderen ausge-
tauscht, ein Kreislauf wechselseitigen Lernens wird angeregt. Das weitere
Fotografieren und weitere Dialogrunden werden von vorangegangenen Erfah-
rungen geprägt, die eigenen Bilder und jene der Anderen schreiben sich in ver-
wobener Form in weitere Aktionen ein. Durch den Dialog im Gruppenprozess
werden Aktion und Reflexion im fotografischen Spannungsfeld miteinander
in Beziehung gesetzt. Das Reden über das eigene Tun und Denken befördert
diese Beziehung und generiert immer wieder neue Möglichkeiten für Aktion
und Reflexion. Durch Positionswechsel und Rollentausch im fotografischen
Spannungsfeld, d. h. die Möglichkeit für alle Beteiligten, gleichermaßen als
Fotograf_in, Betrachter_in und Referent_in zur Geltung zu kommen, werden
auch Perspektivenwechsel möglich und damit Situationen geschaffen, in denen
gewohnte Blickregime gebrochen werden. Es entstehen Momente, in denen
das Eigene und das Andere aufeinandertreffen und einander verunsichern.
Fotografische Praxis kann somit als transformativer Prozess gesehen werden,
der sich aus dem dialektischen Verhältnis von Aktion (das Umsetzen von
Gestaltungsformen), Reflexion und Dialog (das Entwickeln von Reflexions-
inhalten) speist.
6.3 FOTOGRAFISCHE PRAXIS UND
TRANSDISZIPLINÄRE GRENZARBEIT
Grenzarbeit, als welche sich die fotografische Praxis im Rahmen der vorlie-
genden Forschungsarbeit herausstellt, kann in Anlehnung an das Konzept der
boundary work (dt. Grenzarbeit) nach Thomas F. Gieryn (1983) als Arbeitsfeld
zur Erforschung von Grenzziehungen zwischen wissenschaftlichen und nicht-
wissenschaftlichen Wissenskulturen betrachtet werden. Gieryn arbeitet die
ideologische Verfasstheit solcher Grenzziehungen, die er auf das Streben nach
Objektivität und Autonomie innerhalb einzelner Wissenschaftsdiziplinen
zurückführt, heraus (1983). Dieses Konzept der Grenzarbeit entwickelt sich in
der Folge zu einem vermittelnden Konzept an den Schnittstellen diverser Wis-
senschaftsbereiche und wird mit Fokus auf die soziale Konstruiertheit und
dynamische Verfasstheit von Grenzen diskutiert. In diesem Zusammenhang
bieten Samer Faraj und Aimin Yan (2009) ein Modell für Grenzarbeit als
Teamarbeit im Bereich der Softwareentwicklung. Im Bereich der Bildungs-
wissenschaften findet sich der Begriff in Studien von Janice McMillan, die den
pädagogischen Ansatz des Service-Learning in der universitären Bildung als
Grenzarbeit bezeichnet. Dabei werden im Rahmen von studentischen Projek-
ten die wissenschaftlichen Inhalte eines Seminars mit dem gemeinnützigen
Engagement der Studierenden verknüpft. Die Lehrenden nehmen dabei
die Rolle der Grenzarbeiter_innen ein, die als Vermittler_innen zwischen den
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Titel
- Generative Bildarbeit
- Untertitel
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Autor
- Vera Brandner
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 276
- Schlagwörter
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Kategorie
- Medien