Seite - 33 - in Germanistik in Wien - Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
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mit Carl vonKraus, der demMinister brieflich vehement davon abriet,
diesen„unternormalenVerhältnissendurchauszweckentsprechendenPlan
geltend zumachen“, da „es schon das erstemal schwierigwar, einenVor-
schlag zu erzielen, der in derHauptsache dieZustimmungderKommis-
sionsmitglieder fand“.Vielmehr plädierteKraus dafür,mit demvon ihm
„an zweiter Stelle vorgeschlagenen Professor Dr Brecht“ Verhandlungen
aufzunehmen, obwohl, wie er einräumte, für diesen „die Majorität be-
kanntlich nicht erzielt“ wurde.88Die gegen Brecht ins Treffen geführten
ArgumentewiderlegteCarl vonKraus in seinem zehnseitigen Schreiben,
das er selbst als „Promemoria“ verstandenwissenwollte, folgenermaßen:
Zunächst erregte die verhältnismässige Jugend des 37jährigen Kandidaten
Bedenken. Dieses Bedenken, das bei unbeteiligten altenMitgliedern einer
Fakultät erfahrungsgemäss ebenso leicht Eindruck macht wie bei etwa be-
teiligten jüngeren, wird durch die Erfahrungen, die an derWiener Fakultät
gerade mit Berufungen für das Fach der deutschen Sprache und Literatur
gemachtwurden, nicht bekräftigt:WilhelmScherer erhielt im27. Jahre die
BerufungaufdasOrdinariatunsererUniversität,ErichSchmidt im28.,Jakob
Minor im30.undRichardHeinzel imselbenAlterwieBrecht.Auchbraucht
mandurchausnichtmitW.Ostwald89die!jl¶ [akmé,E.G.]einesMannes in
die Zeit vor seinem 30. Jahre zu verlegen, um den von vielen Seiten laut
werdendenWunschnachVerjüngungunserergrossenUniversitätenberechtigt
zu finden und eine blühendeHoffnung für besser zu halten als eine dürre
Gewisheit.
Ferner wurde der Einwand erhoben, dass von dendrei imBericht charakte-
risierten Arbeiten Brechts die eine (überUlrich von Liechtenstein) dem alt-
deutschen Gebiet entstamme, daher für seineWertung als moderner Lite-
rarhistoriker nicht in betracht komme. Dieser Einwand verkennt, dass die
ernste Beschäftigungmit dem älteren Teil dieses oder irgend eines anderen
Faches, das sich im laufe langer Jahre eine straffeMethode erarbeitet hat, für
denmodernen Literarhistoriker dieselbe erziehliche Bedeutung hat wie eine
gute Kinderstube für den späteren Mann. So haben auch Minor, Erich
Schmidt, Creizenach90, Elster und Köster ihren Ausgang abseits von ihrem
eigentlichenFachgebiete genommen;undsobildet aneinerReihederhöchst
angesehenenUniversitätendesDeutschenReichesderNachweiserfolgreicher
Betätigung auf demälterenGebiete eine derVorbedingungen für die Erlan-
gungder venia docendi alsmoderner Literarhistoriker.
88 BriefvonKrausandasMinisteriumfürKultusundUnterrichtvom15.November
1913;ÖStA,AVA,MCU,Zl. 55233 ex 1913.
89 WilhelmOstwald (1853–1932) war ein deutsch-baltischer Chemiker und Phi-
losoph.Erbeschäftigte sichauchmitFragenderWissenschaftsorganisation sowie
demZusammenhang vonLebensalter undwissenschaftlicher Produktivität.
90 Gemeint ist der deutscheGermanistWilhelmCreizenach (1851–1919), der bis
1913 eineProfessur anderUniversitätKrakau innehatte.
I.2. Der Bruch 33
Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Titel
- Germanistik in Wien
- Untertitel
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Autor
- Elisabeth Grabenweger
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 290
- Schlagwörter
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Kategorie
- Lehrbücher