Seite - 38 - in Germanistik in Wien - Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
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wenn er die Lehrkanzel bekäme,würde „ProfessorBrecht“ – schon allein
aufgrund seines geringen wissenschaftlichen Formats – „nicht Minors
Nachfolgerwerden“.103
Für Hock hatten seine öffentlichen und halböffentlichen Interven-
tioneneindisziplinarischesNachspielanderUniversität.104Ungeachtetdes
Urteils über seinVerhalten lassen sichHocks Sauer-Streitschrift und sein
Presse-Artikel allerdings als Symptom dessen lesen, was die Nachfolge-
verhandlungen für den neugermanistischen Lehrstuhl zu einer derart
chaotischenund langwierigenAngelegenheitwerden ließ.Zunächst zeigte
sich das spezifischeWiener Problem der germanistisch äußerst schwach
besetzten Kommission, das anfangs einMachtvakuum erzeugte; gleich-
zeitig waren die Entscheidungsschwierigkeiten aber auch methodischen
Richtungskämpfen innerhalb derNeueren deutschen Literaturgeschichte
geschuldet, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts alle Universitäten des
deutschen Sprachraums beschäftigten.Mit der Ablösung von der älteren
Abteilung, die sich vor allem auf Textkritik, Edition und Kommentar
konzentrierte, ging im Laufe der 1880er und 1890er Jahre der neueren
Abteilung dieOrientierung bietende, unbedingte philologische Ausrich-
tung verloren. BereitsWilhelmScherer undnach ihmauch JakobMinor
hattensichnichtnurumdieBewahrung,sondernauchumdieErweiterung
undErneuerungwissenschaftlicherZugangsweisenzu literarischenTexten
bemüht.105Wirkungsvolle Experimente unternahmen dann – oftmals in
falsch verstandener Opposition zu Scherer – vor allem die jüngeren
Neugermanisten, die außerphilologische Konzepte der Ästhetik, der
Kunstwissenschaft,derPsychologieund–imGefolgeWilhelmDiltheys–
vor allemder Philosophie zurTexterklärung heranzogen.106
Diese vielfach als Krise des Fachs wahrgenommenenVeränderungen
lassen sich auch als Generationenkonflikt begreifen, dem inWien – im
103 Hock:DieNachfolge JakobMinors (1914).
104 Verweis für Stefan Hock wegen Vernachlässigung der Amtsverschwiegenheit;
UAW,Phil. Fak.,Zl. 868 ex 1913/14.
105 Vgl.u.a.Scherer:JacobGrimm(1865);ders.:WissenschaftlichePflichten(1894);
Minor: Centralanstalten für die literaturgeschichtlichen Hilfsarbeiten (1894);
ders.:DieAufgabenundMethodenderneuerenLiteraturgeschichte(1904).–Zur
WissenschaftsauffassungderGenanntenvgl.Faerber: IchbineinChinese (2004),
S. 184–240; Michler/Schmidt-Dengler: Germanistik in Österreich (2003),
S. 193–209;Müller:WilhelmScherer (2000).
106 Vgl.dazuu.a.Müller:DieLebendigenunddieUntoten(2007);Dainat:Vonder
NeuerenDeutschenLiteraturgeschichte zurLiteraturwissenschaft (1994);König/
Lämmert (Hg.): Literaturwissenschaft undGeistesgeschichte (1993).
I. Die Verfasstheit derWiener
Germanistik38
Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Titel
- Germanistik in Wien
- Untertitel
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Autor
- Elisabeth Grabenweger
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 290
- Schlagwörter
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Kategorie
- Lehrbücher