Seite - 44 - in Germanistik in Wien - Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
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dern“131.Über dieZugehörigkeit zur deutschenLiteratur entschied dabei
nicht die Sprache derTexte, sondern dieHerkunft derAutoren.
Für seine Habilitation wurde Brecht, der sich inzwischen mit der
Schwägerin seines Doktorvaters Roethe, Adelheid von Koenen, verlobt
hatte,132 von diesem an Schröder verwiesen.133 Schröder verlangte von
BrechtdenNachweis, dass er „mitTextendeutscherSpracheumzugehen“
wüsste,undempfahldeshalbeineStudieüberdenMinnesängerUlrichvon
Liechtenstein.134Auch in dieser Arbeit ging es Brecht nicht –wie in der
zeitgenössischenMediävistik üblich – um ein zu rekonstruierendes Text-
denkmal, sondern um den „individuellen kunstcharakter“ von Ulrichs
Lyrik,um„diemotive,diecomposition,denstildespoetischenausdrucks,
die literarhistorische stellung ulrichs und seinen charakter“.135Textkritik,
d.h. die sprachmaterielle Seite, spielte so gut wie keine Rolle; vielmehr
bezog sich Brecht auf die 1841 von Carl Lachmann besorgte Gesamt-
ausgabe derWerke Ulrichs,136 um sich dermittelalterlichen Lyrik inter-
pretativ zu nähern.
Nach Abgabe der Habilitationsschrift, die dann 1907 erschien, und
erfolgreichabsolvierterProbevorlesungwurdeBrecht imMai1906ander
Universität Göttingen als Privatdozent zugelassen. In seinemHabilitati-
onsgutachten vom 23. Mai 1906 wies Schröder auf die „[s]tilistische
Untersuchung undAnlage der künstlerischenMittel“ als „die Stärke von
B[recht]swissenschaftlicherArbeit“ hin undprognostizierte, dass Brecht,
für den die „Sprachforschung selbst […] außerhalb seines Arbeitsfeldes“
läge, als „Literarhistorikermit zunehmenderBevorzugungderNeuzeit“zu
sehen seinwerde.137Tatsächlichwidmete sichBrecht abdiesemZeitpunkt
131 Brief von Brecht an Carl von Kraus vom 27. Oktober 1904; BSBMünchen,
NachlassCarl vonKraus,Krausiana I.
132 Adelheid von Koenen war die jüngere Schwester von Dorothea Roethe. Die
VerlobungmitBrecht fand imHerbst 1904 statt.
133 Ab 1903 korrespondierten Roethe und Schröder intensiv über Brechts (akade-
mische)ZukunftundbemühtensichumStipendienfür ihn.Vgl.Oels:„Denkmal
der schönstenGemeinschaft“ (2007), S. 20–28.
134 Roethe/Schröder: Regesten zumBriefwechsel (2000), Bd. 2, S. 263 (Brief von
Schröder anGustavRoethe vom23. September 1904).
135 Brecht:Ulrich vonLichtenstein als Lyriker (1907/1908), S. 1–2.
136 „Ich habe den text zu grunde gelegt, den Lachmann in seiner gesamtausgabe
Ulrichs (Berlin 1841) gegeben hat. Die von bechstein in seiner commentierten
ausgabe des FD (Leipzig 1888) vorgeschlagenen änderungen sind so gut wie
durchwegzuverwerfen.“Brecht:UlrichvonLichtensteinalsLyriker(1907/1908),
S. 1.
137 Zit. n.Oels: „Denkmal der schönstenGemeinschaft“ (2007), S. 24.
I. Die Verfasstheit derWiener
Germanistik44
Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Titel
- Germanistik in Wien
- Untertitel
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Autor
- Elisabeth Grabenweger
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 290
- Schlagwörter
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Kategorie
- Lehrbücher