Seite - 49 - in Germanistik in Wien - Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
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ethischenund ästhetischenBedeutsamkeit desKriegs verbandBrechtmit
einer, aus antienglischemRessentiment gewonnenenBeschreibung ,deut-
scherKultur‘, in der er sich vor allemdagegen verwehrte, dass deutscher
,Idealismus‘mit deutschem ,Militarismus‘nicht einhergehen könne:
WastatEnglandunterdessen?Esrechnete,rechnetefieberhaft.Esrechnete,ob
das neue, kriegerischeGeschäftsunternehmen auchwirklichprofitabelwäre;
es rechnete damit es profitabel würde. Es will aushalten „bis zum letzten
Penny“;wir bis zum letztenMann.
England rechnet,Deutschlanddichtet. Es dichtet imungewissenBeginndes
furchtbarstenKrieges,denes jegegeben.DieselbenMenschen,diesichrüsten,
sind es vielfach, die jetzt dichten.Das alleinwiderlegt bündig den törichten
Wahn, als sei derdeutsche „Militarismus“etwas anderes als der alte deutsche
„Idealismus“ Schillers und Goethes. Nein, gerade das zeigt: wir sind noch
dieselben!159
Mit seiner Kriegsbegeisterung und der Oppositionsstellung von engli-
schemMerkantilismusunddeutschemIdealismus standBrecht, der1914
sehnlichst wünschte, nicht in Österreich, sondern in Deutschland zu
sein,160 beiWeitemnicht allein.Während deutscheHochschullehrer be-
reits im September 1914 eine Erklärung unterschrieben, mit der sie aus
„deutschemNationalgefühl“ englische Auszeichnungen zurück gaben,161
fandBrecht inÖsterreich vor allem inHugo vonHofmannsthal, den er
1917 kennenlernte undmit dem ihn eine lebenslange Freundschaft ver-
binden sollte, inder symbolischenAufladungdesErstenWeltkriegs einen
Verbündeten.162
BrechtselbstäußertesichnachDeutscheKriegsliedersonstundjetztnicht
mehr publizistisch zumErstenWeltkrieg und verfasste auch sonst keinen
propagandistischen Text mehr, seine politische Gesinnung blieb jedoch
ambivalent. Joseph Roth, der von 1914 bis 1916 inWienGermanistik
studiert hatte, also zu Brechts erstenWiener Studenten gehörte,163 cha-
159 Brecht:DeutscheKriegslieder sonst und jetzt (1915), S. 3–4.
160 „Wir bedauern sehr nicht in Deutschland zu sein u. ein so großes Erlebnis zu
verlieren.“Brief vonBrechtanGustavRoethevom3.Oktober1914; zit.n.Oels:
„Denkmal der schönstenGemeinschaft“ (2007), S. 33.
161 Vgl.Kellermann:DerKrieg derGeister 1914 (1915), S. 29.
162 ZuHofmannsthals Kriegsbegeisterung vgl. seine politischen Schriften aus dem
ErstenWeltkrieg in:Hofmannsthal: SämtlicheWerke.Bd. 34 (2011); außerdem
Schumann: „Machmir aber viel Freude“ (2000).
163 Roths Freund und Studienkollege Józef Wittlin erinnerte sich 1944: „Zum ers-
tenmal begegnete ichRoth im Jahre 1915 auf derWienerUniversität. […]Wir
besuchten zusammen die Vorlesungen über deutsche Literatur von Professor
WaltherBrecht.[…]Esstelltesichheraus,daßRothLieblingsschülervonProfessor
I.3. Philologie undmoderate Geistesgeschichte 49
Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Titel
- Germanistik in Wien
- Untertitel
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Autor
- Elisabeth Grabenweger
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 290
- Schlagwörter
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Kategorie
- Lehrbücher