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hungsreichenKonfigurationen bedeutend ans Licht tritt und treten soll, als
Hauptsache desWeltbildes […].211
„[R]ätselhafte Verschlungenheit aller Geschicke“, „dunkelklar in bezie-
hungsreichen Konfigurationen“ – das hört sich verdächtig nach einem
Versuch an, sich durch dichterischeAusdrucksformen einemSinn zu nä-
hern, der mit dem Erkenntnisinstrumentarium der akademischenWis-
senschaft nicht zu fassen war. Tatsächlich war Hofmannsthal aber auch
diesmal nicht zufrieden: „Nein, Sie müssen schon bei Ihrer Weise, die
Dinge darzustellen bleiben […]. Es gibt eben jene andereDarstellungs-
weise, und es gibt die Ihre, beide sind giltig, undunsDeutschen ist viel-
leicht doch jene andere, auf dieTypenundCanones ausgehende,minder
gewiß.“212
EinweiteresProjekt,dasebendieseZwischenstellunghabensollte,war
Hofmannsthals Idee vom „Buch des Dichters“, das er von Brecht ge-
schrieben habenwollte. Es sollte, wie sich Erika Brecht erinnerte, „ganz
groß angelegt, ohneZitate oder sonstigen gelehrtenApparat, ohne jeden
Anklang an Biografie“ sein, demnach „ein Buch, in demder Prozeß des
dichterischen Schaffens, selbst eine Art Dichtung, in klassischer Weise
dargestelltwerdensollte“.213Dieses„Hofmannsthal-BuchalsGundolfsche
Gestaltmonographie“214 schrieb Brecht aber nicht mehr. Sein Dilemma
bemühte sichBrecht imNovember 1923PaulKluckhohn zu erklären:
M.GesprächemitHofm. lassen sich nicht wiedergeben. Sie betreffenmeist
das Innerstedesdichter.Prozesses.Sehreigentümlich ist auchdasPhänomen,
wenneinerplötzlichinnerlichzudichtenbeginnt,numineafflatus.Ichverlasse
H.dann stets. Er stirbt plötzlichderAußenwelt ab. […]DiePhilosophenu.
Ästhetiker redeneigentlichnur soherum.Jemehrmandavonverstehen lernt,
umsomehrneigtmandazu,überdiesegeheimnisvollenDingedenSchnabel
zu halten.Die ältereGeneration verstand freilich davon garnichts.215
Wenn Brecht in seinem Versuch, das „Innerste des dichter. Prozesses“
darzustellen, auch scheiterte, so zeigen seine Veröffentlichungen zuHof-
mannsthal doch den von ihm festgestellten Unterschied zur vorherigen,
demWissenschaftsideal strenger Philologie verpflichteten Germanisten-
211 Brecht:FragmentarischeBetrachtungüberHofmannsthalsWeltbild(1924),S.24.
212 Hofmannsthal/Brecht: Briefwechsel (2005), S. 68 (Brief vonHofmannsthal an
Brecht vom1. Juli 1924).
213 ErikaBrecht: Erinnerungen anHugo vonHofmannsthal (1946), S. 41–42.
214 Osterkamp: Formale, inhaltliche und politische Akzeptanz vonGegenwartslite-
ratur (1993), S. 176.
215 Brief von Brecht an Kluckhohn vom 27.November 1923; DLAMarbach, Be-
stand:DeutscheVierteljahrsschrift.
I.3. Philologie undmoderate Geistesgeschichte 61
Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Titel
- Germanistik in Wien
- Untertitel
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Autor
- Elisabeth Grabenweger
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 290
- Schlagwörter
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Kategorie
- Lehrbücher