Seite - 71 - in Germanistik in Wien - Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
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erhieltBrecht einenRuf andieUniversitätFrankfurt amMain,dener für
Bleibeverhandlungen mit dem österreichischen Unterrichtsministerium
nutzte. Das Ministerium bewilligte ihm daraufhin die „systemisierten
Höchstbezüge“und eine jährliche Personalzulage von 20.000Kronen,253
was insgesamt ein Jahresgehalt von 399.725 Kronen ergab.254Trotzdem
versuchteBrechtwegzukommen.NebendenSachzwängenwar vor allem
die immense Arbeitsbelastung dafür verantwortlich. Am 19. November
1925 schrieb er anPaulKluckhohn:
Es ist ein schneidend schmerzhafter Zirkel: ich bleibe inWien, weil ich an-
geblichnichtsproduziere,undweil ich inWienbleibe […]undArbeitenvon
Anderenbegutachtenmuß,veröffentlichenAndere,Schüler,meineIdeenund
werdenbekannt und geschätzt dafür und kommen aufGrundmeiner Ideen
nachDeutschlandwomöglich.255
BrechtbeklagtesichinseinenBriefenanKluckhohndurchgehenddarüber,
dass er zuviel zu tunhätte.Mitteder1920er Jahrekamendarüberhinaus
Beschwerden über ,seine‘ Privatdozenten hinzu, denen er dieVerwertung
seines „geistige[n] Eigentum[s]“256 vorwarf.
DassBrechtein relativ schmalesOeuvreaufwies, verringertenichtnur
seine Chancen auf eine Professur, sondern wurde auch noch posthum
,Absurdität‘warihmklargeworden,undnunwurdeerganzunglücklich: ,Aberdas
habe ich ja nicht geahnt, daß es Euch so schlecht geht! In der Stellung!Wer soll
denn darauf kommen? […].‘ […]Wie es einem ,Festbesoldeten‘ auch in glän-
zender Stellung imWien derNachkriegszeit eigentlich erging, das war ihmun-
vorstellbar. Aber nun begriff er es auf einmal und handelte danach. […] Zu
Weihnachten [1925,E.G.] erschien einKorbmitEßwaren […].Dazu aber auch
einHaufenBücher […]. […]Als ichdas nächsteMal inRodaunwar,wurde ich
vonGerty [Hofmannsthals Ehefrau, E.G.] schüchtern gefragt, ob ich wohl von
abgelegten Sachen derHofmannsthalschenKinder […] etwas brauchen könnte.
[…] [I]ch wählte begeistert unter Bergen von Bubenmänteln, Jacken,Mützen,
MädchenkleidernundSchuhenaus,was ichbrauchenkonnte, und esbliebnicht
viel übrig.“
253 Brief des Bundesministeriums für Inneres und Unterricht an das Dekanat der
philosophischen Fakultät der UniversitätWien vom 22. Oktober 1921; UAW,
Phil. Fak., PA1113Walther Brecht. –DerAusdruck ,systemisiert‘meint in der
österreichischenAmtssprachesovielwie,vonderBehörde/demSystemgenehmigt/
zugelassen‘.
254 ÖStA,AVA,Unterrichtallgemein,UniversitätWien,PhilosophieProfessoren,PA
WaltherBrecht.
255 Brief von Brecht an Kluckhohn vom 19.November 1925; DLAMarbach, Be-
stand: PaulKluckhohn.
256 Brief von Brecht an Kluckhohn vom 19.November 1925; DLAMarbach, Be-
stand: PaulKluckhohn.
I.3. Philologie undmoderate Geistesgeschichte 71
Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Titel
- Germanistik in Wien
- Untertitel
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Autor
- Elisabeth Grabenweger
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 290
- Schlagwörter
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Kategorie
- Lehrbücher