Seite - 77 - in Germanistik in Wien - Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
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Vertretern jenerWeltanschauung konform denkst u. dem jüdisch-sozialde-
mokratischen Geist entgegen bist, wie er auch bei uns in gewissen Fakul-
tätsgruppenhervortritt.ManwillnatürlichvorundeutschenÜberraschungen
gesichert sein, hier inWien äußerst begreiflich.
Ich habe gesagt, du hättest mir die erforderl. Garantien schriftlich u. bes.
mündlichgegeben, siemöchtenabergerneinenochmalige schriftl.Äußerung
von dir, wegen der anderen, nämlich der Heißsporne in der eignen Partei.
Kralik hat sich erboten, dir einen Brief zu schreiben, unter meiner u. aller
Anwesenden Zustimmung, diesen Brief wirst du demnächst erhalten. Du
kannst ruhig und ohne Bedenken vor Gewissenszwang antworten u. mit
wenigenWortenaufdeinenatürlichenationaleWeltanschauunghinweisen.Es
isthierebeneinheißerBodeninStaat,Stadt,Univers,Kultur,u.dieKollegen,
nach schlechten Erfahrgn gerade mit reichsdtschen Professoren der letzten
Jahre, wollen gern sicher gehen, daß keiner kommt, der, wieMinor, einen
demokrat.-jüd. Priv.dozenten nach dem andern macht oder für marxist.
Schulreform,Universitätsbolschewisierung (allen Ernstes!) stimmt, sondern
die LageWiens im gefährdeten Südosten erkennt u. e. gewissenKulturkon-
servatismus einhälst [!], wie ich.Dies zurOrientierung!278
NachdemderAltgermanistDietrichKralikdievonBrecht angekündigten
brieflichen Bestätigungen für Kluckhohns Weltanschauung eingeholt
hatte,279 bedurfte es nurmehr einer einzigen offiziellen Sitzung der Be-
rufungskommission, um Kluckhohn einstimmig an erster Stelle dem
Professorenkollegium vorzuschlagen.280 Im Bericht an dasMinisterium,
denBrechtalsReferentam5. Juni1926verfasste,warvondenpolitischen
Vorsondierungen freilich keine Rede mehr. Dass imMinisterium eine
deutschfreundlicheundderEigenständigkeitÖsterreichsnichtunbedingt
wohlgesonneneHaltungvorherrschte, lässt sichausBrechts– imVergleich
zu den inoffiziellen Besprechungen – eher dezent gehaltenen Formulie-
rungen trotzdem schließen. Sowurde gleich zuBeginn des Berichts fest-
gehalten, dass für die Wiener Professur nur ein „Gelehrter“ in Frage
278 Brief vonBrecht anKluckhohn, o.D. [Frühjahr 1926];DLAMarbach,Bestand:
PaulKluckhohn.–Vondengenannten„nationalenKollegen“gehörtenzumindest
der Historiker Heinrich Srbik sowie die Germanisten Dietrich Kralik, Rudolf
Much und Anton Pfalz einem an der philosophischen Fakultät einflussreichen
antisemitischenNetzwerkan,außerdemwarensie,wieauchderHistorikerAlfons
Dopsch, Mitglieder der deutschnationalen und antisemitischen Vereinigung
Deutsche Gemeinschaft. Vgl. Taschwer: Hochburg des Antisemitismus (2015),
S. 99–132;Rosar:DeutscheGemeinschaft (1971).
279 Vgl.dieBriefe vonDietrichKralikanPaulKluckhohnvon1926;DLAMarbach,
Bestand: PaulKluckhohn68.812/1–4.
280 Sitzungsprotokoll der Kommission zur Beratung über dieWiederbesetzung der
Lehrkanzel fürdeutscheSpracheundLiteraturnachProfessorDr.WaltherBrecht
vom21.Mai 1926;UAW,Phil. Fak., PA2216PaulKluckhohn.
I.4. Paul Kluckhohn, Josef Nadler und das Ende der Privatdozenten 77
Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Titel
- Germanistik in Wien
- Untertitel
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Autor
- Elisabeth Grabenweger
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 290
- Schlagwörter
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Kategorie
- Lehrbücher