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grundsätzeaufdasuniversitäreFeld.DenGrunddafürsahdieKommission
in einem spezifisch akademischen Kapital: dem der wissenschaftlichen
Begabung. Während die gesellschaftliche und politische Entwicklung
unabhängig von diesemKapital vonstattengehen, sei es für die Entwick-
lung desWissenschaftsbetriebs aber unerlässlich. Und genau an diesem
Kapital,dessenBeurteilungalleindemakademischenFeldzuobliegenhabe
und das gleichzeitig die Grundbedingung der Zugehörigkeit zu eben
diesem Feld darstelle, orientierte sich die weitere Argumentation der
philosophischen Fakultät. Zunächst argumentierte sie auf der Ebene der
Erfahrung. So habe das Frauenstudium gezeigt, dass eindeutige „Unter-
schiede in der durchschnittlichen Begabung vonMännern und Frauen“
auszumachen seien. In Übereinstimmung mit der Auffassung der ,Ge-
schlechtscharaktere‘41 würden sich diese Unterschiede vor allem darin
zeigen,dassFrauenrezeptiv,alsonachahmend,undMännerproduktiv,also
selbständig, dächten. In einemnächsten Schritt wurde darauf aufbauend
festgestellt, dass selbst „eine gute Arbeit“ einer Frau – imUnterschied zu
einer guten Arbeit eines Mannes – nicht unbedingt von ihrer wissen-
schaftlichen Befähigung zeuge, da man nicht mit Sicherheit feststellen
könne, ob siederOriginalität undSelbständigkeit desDenkensoderdem
„Einfluß einesDocenten“ zu verdanken sei.Da aber gerade „Originalität
und Selbständigkeit die wesentlichsten Bedingungen“ sowohl für die
wissenschaftliche Arbeit als „auch für den akademischen Unterricht“
darstellen, sei esnotwendig, beiFrauenüberdieüblichewissenschaftliche
Qualifikation hinausgehende „bindende Beweise“ für ihre akademische
Eignung zu fordern.Wie diese „bindendenBeweise“und der „Nachweis
desgesichertenwissenschaftlichenRufes“genauzuerbringenseien,ließdas
Gutachten jedochoffen.42
Dass sich das Professorenkollegiumder philosophischenFakultät der
UniversitätGraz bezüglich derZulassung vonFrauen zur Privatdozentur
nichteinigwar,zeigtedieSitzungvom5.Dezember1919.IndieserSitzung
41 ZurVorstellung der ,Geschlechtscharaktere‘ vgl.Kap. II.2.
42 Alle Zitate: Stellungnahme der philosophischen Fakultät zur Zulassung von
FrauenzurPrivatdozentur,o.D. [2.Dezember1919];UAG,Phil.Fak.,Z.558ex
1919/20. – Für Österreich fehlen bislang vergleichende Untersuchungen; für
Deutschland stellt StefanieMarggraf aber fest, dass die „Formel der prinzipiellen
ZulassungvonFrauenunterSonderkonditionen“fürHabilitationsverfahreninder
Weimarer Republik charakteristisch sei, da die „Zulassung von Frauen zurHa-
bilitation […] nicht alsGebot derChancengleichheit, sondern als Ausnahmere-
gelung für Höchstleistungen gesehen“ wurde. Marggraf: Sonderkonditionen
(2002), S. 40–41.
II.1. ZwischenUniversität und Staatsverfassung 97
Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Titel
- Germanistik in Wien
- Untertitel
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Autor
- Elisabeth Grabenweger
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 290
- Schlagwörter
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Kategorie
- Lehrbücher