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mehrmals.46Doch trotz dieser Bemühungen und trotz desVerstoßes der
dargestellten Gutachten und Stellungnahmen gegen den verfassungsmä-
ßigenGleichheitsgrundsatzderErstenRepublik setzte sichdieUniversität
Grazmit einem von ihr postulierten Autonomieanspruch gegenüber der
staatlichenUnterrichtsbehörde durch.47MitAutonomiemeinte dieUni-
versität jedoch nicht die Freiheit von Forschung undLehre, sondern das
Recht zu bestimmen, wer Teil des universitären Systems sein durfte und
wernicht.48Erst 1932wurde anderUniversitätGrazder erstenFrau, der
HistorikerinMathilde Uhlirz, die Venia Legendi verliehen. Davor hatte
Uhlirz bereits 1916 und 1921 umHabilitation angesucht, beide Male
wurden ihre Anträge jedoch abgelehnt.49 Christine Touaillon zog nach
Interventionen beimMinisterium50 ihren Antrag am 3. Oktober 1920
zurück.51Bereits fünf Monate zuvor hatte sie aber an derWiener philo-
sophischen Fakultät ein zweitesGesuch eingereicht, das schließlich auch
erfolgreichwar.52
InWienhattedasProfessorenkollegiumderphilosophischenFakultät
Ende 1919 ganz anders als inGraz auf das SchreibenOttoGlöckels rea-
giert. In einem äußerst knapp gehaltenen Kommissionsbericht vom
21.November 1919 „legt[e]“die Fakultät „Wert darauf zu betonen“,
dass sie bereits vor längerer Zeit für Frauen, welche denselbenBedingungen
entsprachenwiemännlicheHabilitationswerber, dieVenia legendi beantragt
hat.53 Sie handelt daher nur konsequent, wenn sie, der Anregung des Staat-
46 Rainer Leitner:ChristineTouaillon, geb.Auspitz (1991), S. 36–37.
47 DieRechtfertigung eines Autonomieanspruchs gegenüber der staatlichenUnter-
richtsbehörde beschäftigte zu Beginn der Ersten Republik alle Universitäten des
Landes.Vgl.Höflechner:Die österreichischeRektorenkonferenz (1993).
48 AufgrunddesVersuchs desBildungsreformersGlöckel, Einfluss auf alleBereiche
desUnterrichtswesenszunehmen,sprachmanandenUniversitätenabschätzigvon
der ,Verglöckelung‘ des Bildungswesens. Höflechner: Die Baumeister des künf-
tigenGlücks (1988), S. 115.
49 Zu Mathilde Uhlirz’ Habilitationsverfahren vgl. Höflechner: Mathilde Uhlirz
(1996). –Die ersteGermanistin inGraz, derdieVeniaLegendi verliehenwurde,
warBeatrixMüller-Kampel; sie habilitierte sich 1993.
50 Dass sichTouaillonmitGlöckelpersönlichverständigte,gehtaus ihrenBriefenan
ihren Bruder Walther Heydendorff hervor. Vgl. v.a. ihre Briefe an ihn vom
24.April1919,5.Mai1919,9.Mai1919und25.Mai1919;ÖStA,Kriegsarchiv,
NachlassWaltherHeydendorff B/844/13.
51 Brief von Touaillon an das Dekanat der philosophischen Fakultät inGraz vom
3.Oktober 1920;UAG,Phil. Fak., Z. 72 ex 1920/21.
52 HabilitationsantragvonTouaillonvom15.Mai1920;UAW,Phil.Fak.,Zl.939ex
1920/21, PA3462ChristineTouaillon.
53 Gemeint ist dieRomanistinEliseRichter, die sich 1907 inWienhabilitierte.
II.1. ZwischenUniversität und Staatsverfassung 99
Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Titel
- Germanistik in Wien
- Untertitel
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Autor
- Elisabeth Grabenweger
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 290
- Schlagwörter
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Kategorie
- Lehrbücher