Seite - 103 - in Germanistik in Wien - Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
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schien ihr rechtfertigungsbedürftig. So stellte sie fest, dass es „unmöglich
[sei], denFrauenroman vomMännerroman64 völlig zu trennen“:
Nur scheinbar setzt der Titel dieser Arbeit eine solche Trennung voraus. In
Wirklichkeit ist die Geschichte des Frauenromans nur ein Kapitel der Ge-
samtgeschichte des Romans, aus dieser herausgehoben, weil der deutsche
Frauenromandes 18. Jahrhunderts bisher überhaupt keineBeachtungdurch
die Literaturgeschichte erfuhr. (Touaillon 1919, 3)
WasTouaillon hier 1919 ihren Fachkollegen vorschlug, war eine bislang
vernachlässigte, ihres Erachtens aber notwendige Ergänzung und somit
auchVervollständigungderbisherigenLiteraturhistoriographie (aufderen
Status in der zeitgenössischen Germanistik noch zurückzukommen sein
wird). Gleichzeitig hatte diese alternative Literaturgeschichtsschreibung
aber auch ihre eigene Überwindung zumZiel und somit programmati-
schenCharakter. Es sollte durch Integration in die allgemeine, d.h. zeit-
genössisch männliche Geschichte des Romans überflüssig werden, den
Frauenroman getrennt darzustellen.65Es läge nahe, Touaillons Rechtfer-
tigung nicht nur als explizite Benennung einesDesiderats der Literatur-
geschichtsschreibung, sondernauchalsausdrücklicheKritikanderbislang
innerhalb der Germanistik vorgenommenen Auswahl an Forschungsbe-
reichenundalsFrontstellunggegenihremännlichenFachkollegenzulesen.
Wie noch zu zeigen sein wird, bedeutete die Themenwahl Touaillons
zeitgenössisch aber eher dieEinschreibung in ein bislangunbesetztes und
somit auch konkurrenzfreies Forschungsgebiet.
DerAufbaudesBuchs folgt – gemäßTouaillonsAuffassung, dass der
FrauenromandenselbenPrinzipienwiederMännerromangehorcht–dem
bis heute üblichen Epochenschema von Literaturgeschichten: In vier
Abschnitten unterscheidet sie den empfindsamen, den rationalistischen
und den klassizistischen Frauenroman sowie romantische Elemente im
deutschenFrauenroman.FürdieEmpfindsamkeitbesprichtTouaillonvor
allemSophie vonLaRocheund ihrenRomanGeschichte desFräuleins von
Sternheim, aber auch weniger bekannte Autorinnenwie Eleonore Thon,
Meta Liebeskind und Friederike Lohmann. Den rationalistischen Frau-
64 Touaillon verstand unter ,Frauenromanen‘ von Frauen, unter ,Männerromanen‘
vonMännern geschriebeneRomane.DieseBegriffewerden imFolgenden,wenn
nicht anders gekennzeichnet, in dieser Bedeutung vonmir übernommen.
65 Dabei handelte es sichumeineForderung, diemit der erneutenKonjunkturdes
Begriffs ,Frauenliteratur‘ erst wieder in den 1970er Jahren, also ein halbes Jahr-
hundertnachTouaillon, inneruniversitär vertretenwurde.Vgl.dazuWeigel:Frau
und „Weiblichkeit“ (1984).
II.2. Literatur-, Kultur- und Sozialgeschichte 103
Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Titel
- Germanistik in Wien
- Untertitel
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Autor
- Elisabeth Grabenweger
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 290
- Schlagwörter
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Kategorie
- Lehrbücher