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dass dieThematikderLiebeundEhe alle anderen zwischenmenschlichen
Beziehungen in denHintergrund gerückt habe und bis zumBeginn des
20. Jahrhunderts nahezu kein Roman ohne Liebesgeschichte auszukom-
men wagte. (Touaillon 1919, 649) Damit haben, so Touaillon weiter,
Autorinnen „demDilettantismusundder Seichtigkeit einbequemesFeld
bereitet“ (Touaillon 1919, 651). Glücklicherweise sei es demRoman als
Gattungaber gelungen, „umseineGeltung alsKunstwerk zu ringen“und
„sichinnerlichmehrundmehrzureinigen“.Gleichzeitighabederdeutsche
Roman den Schriftstellerinnen aber auch eine beachtliche Anzahl an
Vorteilen zu verdanken. Neben der „sittliche[n] Reinigung“ nennt Tou-
aillon dieMäßigung in sexuellen Fragen, die Eindämmung der Leiden-
schaft und die Entwicklung eines sozialen Empfindens, aber auch die
Verfeinerung psychologischer Betrachtungsweisen, die allesamt zur „Ver-
innerlichungdesdeutschenRomans“beigetragenhätten.(Touaillon1919,
652–653)Damit reiche der deutsche Frauenroman,wieTouaillon in ei-
nemZugeständnis andie zeitgenössischeAuffassung schreibt, „zwarnicht
an die vollkommensten Schöpfungen desMännerromans“ im 18. Jahr-
hundert heran; für die Literaturgeschichtsschreibung von Interesse sei er
abertrotzdem,da„denSchäden,welcheermitsichbrachte,eineReihevon
Vorteilengegenübersteht“, sodasser„einewichtigeSendungerfüllt [habe],
dieausderGeschichtedesRomansnichtmehrweggedachtwerdenkann“.
(Touaillon 1919, 654–655)
II.3.KanonundGeschlecht
AlsChristineTouaillon1919ihreHabilitationsschriftüberdendeutschen
Frauenroman des 18. Jahrhunderts veröffentlichte, war die Erforschung
vonLiteraturvonFrauenhauptsächlich imaußerakademischenBereichzu
finden.ZwarbeschäftigtesichdieGermanistiktraditionellvielmitFrauen,
dochnurseltenmitFrauenalsProduzentinnenvonLiteratur.Vielhäufiger
dientensiealsMusenundImaginationender,großen‘Dichter.79DieRede
vom ,Weiblichen‘ wurde als Bündel von Eigenschaften verstanden, das
dazu diente, Theorien und methodische Ansätze als nicht konstruiert,
sondern als natürlich begründet erscheinen zu lassen. Eines der bekann-
testen und einflussreichstenUnterfangen in dieserHinsicht ist das litera-
turhistorischeEpochenschemaWilhelmScherers.UmseineGeschichteder
79 Vgl.dazudienachwievorgrundlegendeStudievonBovenschen:Die imaginierte
Weiblichkeit (1979). II.3. Kanon undGeschlecht 121
Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Titel
- Germanistik in Wien
- Untertitel
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Autor
- Elisabeth Grabenweger
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 290
- Schlagwörter
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Kategorie
- Lehrbücher