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AutonomievonLiteraturalsKunst“propagiert.101Umdiese„Literaturmit
Kunstanspruch, die sich als autonomes, ästhetisches Medium von Er-
kenntnis“102 konstituierte, von der weitverbreiteten ,Unterhaltungslitera-
tur‘zuunterscheiden,wurdeeinneuesAuswahl-undOrientierungsschema
notwendig.GleichsamalsWächterüberdie„Dichotomisierungvonhoher
und niederer Literatur“103 entstand die Institution der professionellen
Literaturkritik.MitderwachsendenZahlanSchriftstellerinnenundderen
Erfolg am literarischenMarkt setzte aber auch eine vehement geführte
DebatteüberdenStatusderliterarischenProduktionvonFrauenein,inder
es vor allem darum ging, zwischen ,hoher‘ und ,niederer‘ Literatur auch
geschlechtsspezifisch zu unterscheiden. Wie Christa Bürger gezeigt hat,
wurde dabei sehr schnell ein engerZusammenhang zwischenDilettantis-
mus und literarischer Tätigkeit von Frauen diskursiv festgeschrieben.104
Dieser Engführung vonFrau undDilettantismus kamen zwei historische
Erscheinungsformenentgegen,die„fürdieKanonchancenderAutorinnen
inderFolgezeit vongrundlegenderBedeutung“105waren.Dabei handelte
es sich umdieZuordnung von Schriftstellerinnen zumunterhaltsam-di-
daktischen Genre und die „Polarisierung der ,Geschlechtscharaktere‘“106
amEndedes 18. Jahrhunderts.
Als Vorbild für das den Frauen zugestandene didaktischeGenre galt
der–auchvonTouailloneingehendbesprochene–erstedeutscheRoman
einerSchriftstellerin:die1771anonymerschieneundäußerst erfolgreiche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim von Sophie von La Roche. Als
Herausgeber fungierteChristophMartinWieland,der ein, vonTouaillon
nichtbeachtetes,ausführlichesVorwortverfasste, indemerBestimmungen
über Literatur von Frauen formulierte, die in den darauffolgenden Jahr-
zehnten eine ungeahnteWirkungsmacht entfalten sollten.107DieVerfas-
101 Heydebrand/Winko: Geschlechterdifferenz und literarischer Kanon (1994),
S. 134–135.
102 Heydebrand/Winko: Geschlechterdifferenz und literarischer Kanon (1994),
S. 136.
103 Bürger/Bürger/Schulte-Sasse (Hg.): Zur Dichotomisierung von hoher und nie-
derer Literatur (1982).
104 Bürger: Leben Schreiben (1990), S. 19–31.
105 Heydebrand/Winko: Geschlechterdifferenz und literarischer Kanon (1994),
S. 139–140.
106 Hausen:Die Polarisierung der ,Geschlechtscharaktere‘ (1976).
107 Auf die heute so berühmte von Wieland inszenierte Herausgeberfiktion ging
Touaillon nicht ein.Vielmehr betonte sie, dass anderRolleWielands alsUnter-
stützer undTadler „nichtsUngewöhnliches, etwa nur bei einer FrauenarbeitGe-
stattetes“ zu bemerken sei, da auchMänner ihre Texte von anderenMännern
II. Christine Touaillon
(1878–1928)126
Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Titel
- Germanistik in Wien
- Untertitel
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Autor
- Elisabeth Grabenweger
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 290
- Schlagwörter
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Kategorie
- Lehrbücher