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serin selbst, vonderWieland,wie er schrieb, dieHandschrift „unter den
Rosen der Freundschaft“108, also unter demSiegel derVerschwiegenheit,
erhalten habe, habe nie selbst daran gedacht, „für dieWelt zu schreiben,
oder einWerkderKunsthervorzubringen“109, vielmehrwar für sie immer
die „moralische Nützlichkeit der erste Zweck“110. Deshalb, so beteuerte
Wieland, konnte „ich dem Verlangen nicht widerstehen, allen tugend-
haftenMüttern,allen liebenswürdigen jungenTöchternunsrerNationein
Geschenke mit einemWerke zumachen, welches mir geschickt schien,
Weisheit undTugend […] zubefördern“111.Mit der explizitenNennung
des Adressatenkreises, der Intention der Autorin und der Funktion der
Sternheim entwarf Wieland das Genre ,Frauenliteratur‘ und verwies den
Roman sogleichdarauf,wasLaRochesHervortreten alsAutorin zugleich
legitimierte, festlegteundbeschränkte.112Möglichwardasaufgrundder in
der zweitenHälfte des 18. Jahrhunderts aufkommendenVorstellung der
,Geschlechtscharaktere‘, derzufolge nicht die gesellschaftliche Stellung,
sondern dieNatur „de[n]Mann für den öffentlichen, die Frau [aber] für
denhäuslichenBereich“113prädestiniere.Währenddas frühaufklärerische
Konzept des ,GelehrtenFrauenzimmers‘ zumindest zumTeil auf derAn-
nahmedernatürlichenGleichheitderGeschlechterbasierte, gingmanbei
der ,Empfindsamen‘ von einer natürlichenUngleichheit aus:
Die Gelehrte war eine Analogiekonstruktion. Im Bild der Empfindsamen
dagegen sollten die Spezifika desWeiblichen deutlich hervortreten.Mit ihm
war ein demMännlichen entgegengesetzt gedachter weiblicherGeschlechts-
charakter gemeint.114
Die Ablehnung der weiblichen Gelehrsamkeit und die Aufwertung des
Gefühls alsmoralische Instanz führtenzwarzunächst zueinerAufwertung
der traditionell den Frauen zugeschriebenen sensitivenEigenschaften, je-
dochnurumdenPreisderSektoralisierung.Gleichsamals„Galionsfiguren
empfindsamer Tugend“115 und als literarische Repräsentantinnen dieser
korrigieren ließen. Touaillon: Der deutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts
(1919), S. 102 (Anm. 107).
108 Wieland: AnD. F. G. R. V. ******* [Vorwort des Herausgebers] (1983), S. 9.
109 Wieland: AnD. F.G. R. V. ******* [Vorwort desHerausgebers] (1983), S. 13.
110 Wieland: AnD. F.G. R. V. ******* [Vorwort desHerausgebers] (1983), S. 14.
111 Wieland: AnD. F.G. R. V. ******* [Vorwort desHerausgebers] (1983), S. 10.
112 Becker-Cantarino: Schriftstellerinnen der Romantik (2000), S. 161; vgl. auch
dies.:MeineLiebe zuBüchern (2008).
113 Hausen:Die Polarisierung der ,Geschlechtscharaktere‘ (1976), S. 367.
114 Bovenschen:Die imaginierteWeiblichkeit (1979), S. 161.
115 Bovenschen:Die imaginierteWeiblichkeit (1979), S. 159.
II.3. Kanon undGeschlecht 127
Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Titel
- Germanistik in Wien
- Untertitel
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Autor
- Elisabeth Grabenweger
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 290
- Schlagwörter
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Kategorie
- Lehrbücher