Seite - 181 - in Germanistik in Wien - Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
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gründete handelte,136 änderte sie die Richtung ihrer (nicht nur wissen-
schaftlich bekundeten)Weltanschauung nur bedingt. So hielt sie zu den
jüdischenWissenschaftlern,die1933ausDeutschland indieUSAflohen,
bewusst Abstand137und tat nochAnfang der 1960er Jahre ihre antisemi-
tischenAnsichtenkund.138EineexpliziteKonzessionderWissenschaftlerin
an den Nationalsozialismus lässt sich jedoch nicht finden, auch veröf-
fentlichtesienachDieAnarchieimBürgertumkeinenpolitischenTextmehr
(zwischen1934und1945publizierteThalmannnurdreiAufsätze, die in
amerikanischenZeitschriften erschienen)139.
136 In seiner Rezension von Thalmanns Studie über JohannWolfgangGoethe von
1948 zählte Theodor Schultz Thalmann „zu jenen armen vertriebenen Men-
schenkindern,denenes erst durchdasEndedesKriegesmöglichgeworden ist, zu
ihrer ursprünglichen Heimat zu sprechen“. Schultz: Marianne Thalmann,
J.W.Goethe. DerMann von fünfzig Jahren [Rez.] (1949). – Das International
Biographical Dictionary of Central European Emigrés verzeichnet Thalmann
ebenfalls als vomNationalsozialismus vertriebeneWissenschaftlerin. Strauss/Rö-
der (Hg.): International Biographical Dictionary of Central European Emigrés
1933–1945. Bd. 2.2 (1983), S. 1161. – Und Frank-Rutger Hausmann zählte
Thalmann noch 2006 zu jenenWissenschaftlern derWiener Germanistik, die
1938 „Opfer der Rassen- und Beamtengesetze“ wurden. Hausmann: Irene
Ranzmaier,GermanistikanderUniversitätWienzurZeitdesNationalsozialismus
[Rez.] (2006).
137 Als die deutsch-jüdische Germanistin Melitta Gerhard mit Unterstützung des
Emergency Committee in Aid of Displaced German Scholars für das Studienjahr
1934/35 ans Wellesley College kam, schrieb Thalmann an ihren ehemaligen
Wiener Studienkollegen und den späteren nationalsozialistischen Germanistik-
professor inBerlin,FranzKoch:„IchmussIhnenauchmitteilen,dassSie inBerlin
jedenfallsMelittaGerhard aufsuchenwird, die ein Jahr als visiting professor hier
war. Sie wissen, Amerika will immer einen kleinen Flüchtling. Nur wenn sich
Gerhardauchnicht so fühlt, so sieht siedochgenügend jüdischausundist inKiel
vonderDozentur enthoben.SeienSie ihr gegenüber reserviert, denn sieberichtet
alles nachWellesley – ich meine vorsichtig über alle meine Äußerungen über
Betrieb, Judenfrage,Dep.hier.“Brief vonThalmannanKochvom6. Juni1935;
Adalbert-Stifter-Institut des LandesOberösterreich,Nachlass FranzKoch. – Für
denHinweis auf diesenBrief danke ich SebastianMeissl,Wien.
138 Wie sichGraceDingee, eine ehemaligeStudentinamWellesleyCollege, erinnert,
hat sichThalmannnoch kurz vor ihrer Rückkehr nachEuropa dahingehend ge-
äußert, dass die „Massen von Juden“ inÖsterreich einen kulturellen und wirt-
schaftlichenNiedergang herbeigeführt hätten. E-Mail vonGraceDingee anEli-
sabethGrabenweger vom19. September 2012.
139 Thalmann:Weltanschauung imPuppenspiel vonDoktorFaust (1937);dies: Jean
Pauls Schulmeister (1937); dies:Hans Breitmann (1939). –Die vonThalmann
publiziertenRezensionen sindhier nicht berücksichtigt.
III.3.Wiener Karriere undWeggang in dieUSA 181
Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Titel
- Germanistik in Wien
- Untertitel
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Autor
- Elisabeth Grabenweger
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 290
- Schlagwörter
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Kategorie
- Lehrbücher