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Kontext der Gegenreformation in Paris 1617 und in Wien 1655
Die Anstrengungen zur Rückführung der weitgehend noch analphabetischen Be-
völkerung in die katholische Kirche, welche die Gesellschaft Jesu mit eindrucksvollem
Einsatz vorantreibt, stützen sich auf die effektvolle Rhetorik der Predigten :
Zu gewissen Zeiten, vor allem in jenen der Gegenreformation und der Glaubenskämpfe,
wurden gelegentlich drastische barocke Predigtweisen, zumal bei den Volksmissionen der
Jesuiten, angewandt. Es wird deutlich, wie in der religiösen Volksunterweisung des Barock
die Predigt, die im frühen Mittelalter wenigstens in den vorliegenden Niederschriften er-
staunlich trocken und affektlos ist, sichtlich angeregter wird. Die Prediger suchen jetzt nach
wirksamer homiletischer Behandlung besonders des Leidens Christi und der Betrachtung
seines Todes und arbeiten mit immer drastischeren Mitteln. Sie gestikulieren mit Totenköp-
fen auf der Kanzel und geißeln sich vor den Zuhörern.76
Besondere Erwähnung verdient hier die Volksmission des italienischen Jesuitenpredigers
Paolo Segneri (1624–1694), dessen Schriften in Original und Übersetzung in Österreich
gedruckt werden und der wesentlich zur Verbreitung der Kreuzverehrung beiträgt, wel-
che sich unter anderem in den später von der Aufklärung heftig angeprangerten öffent-
lichen Selbstgeißelungen mancher fundamentalistischer Gläubigen manifestiert.77
Dass der Jesuitenorden relativ rasch in der Umgebung des kaiserlichen Hofes ei-
nen besonderen Ruf genießt, wird durch eine Begebenheit illustriert, die einerseits
die persönlichen Beziehungen einzelner Mitglieder des Hofes zu Italien, andererseits
auch die Existenz zahlreicher Quellen in italienischer Sprache zu diesen Ereignissen
vor Augen führt : Im Herbst 1646 hält sich der Kaiserhof in Preßburg (Bratislava) auf,
wo ein Jesuit namens Hieronymus Gladich Aufsehen erregt, weil er durch besondere
Seelenmessen die Erlösung verstorbener Angehöriger aus dem Fegefeuer verspricht.78
Aufgrund seines Rufes tritt Giovanna Gräfin Martinitz, eine geborene Gonzaga, mit
ihm in Kontakt und berichtet daraufhin ihrem Bruder Ferdinando Gonzaga in Mantua
von dieser lokalen Besonderheit. Überzeugt von der wunderbaren Wirkung der Inter-
ventionen von Pater Gladich lässt sie tatsächlich eine Seelenmesse für die Eltern lesen.
Offenkundig finden derart spektakuläre Begebenheiten und der wachsende Ein-
fluss der Gesellschaft Jesu selbst in katholischen Kreisen nicht immer Zustimmung,
76 Elfriede Grabner : Heilsverkündigung durch Ordenspropaganda als gegenreformatorische Glaubensma-
nifestation. In : Leeb/Pils/Winkelbauer (Hg.) : Staatsmacht und Seelenheil, S. 109–118, hier S. 112.
77 Vgl. Anna Coreth : Pietas Austriaca. Ursprung und Entwicklung barocker Frömmigkeit in Österreich.
München 1959 (Wien 21982).
– Dieter Breuer (Hg.) : Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock.
Wiesbaden 1995.
78 Petr Mat’a : Arme-Seelen-Rettung in Preßburg, 1646/47. Mikrohistorie einer Massenhysterie. In : Leeb/
Pils/Winkelbauer (Hg.) : Staatsmacht und Seelenheil, S. 75–97.
Giambattista Marinos Wort-Zucht-Peitschen und die Gegenreformation in Wien um 1655
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Giambattista Marinos Wort-Zucht-Peitschen und die Gegenreformation in Wien um 1655
- Autor
- Alfred Noe
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79696-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 170
- Schlagwörter
- Giambattista Marino, translation italian-german, Counterreformation, Giambattista Marino, Übersetzung italienisch-deutsch, Gegenreformation
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