Seite - 9 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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Vorwort
»Meine Herren, eine Fakultät ist doch keine Badeanstalt!«1 Der Göttinger
Mathematikprofessor David Hilbert staunte und war verärgert zugleich,
als seine Kollegen sich im November 1915 gegen die Zulassung von Amelie
Emmy Noether zur Habilitation stellten. Sie war die Tochter eines Erlanger
Professors jüdischer Herkunft, promovierte Mathematikerin, 33 Jahre alt
und eine intellektuelle Ausnahmegestalt. Auf Einladung Hilberts war sie als
Expertin für Differentialinvarianten kurz zuvor nach Göttingen gekommen,
um ihn und seinen Kollegen Felix Klein bei ihren Forschungen zur Relati-
vitätstheorie von Albert Einstein zu unterstützen. Vor diesem Hintergrund
wäre Emmy Noethers Zulassung zur Habilitation eigentlich eine Formalie
gewesen. So sahen es zumindest Hilbert und einige weitere Fachkollegen.
Doch vor allem die Philologen, die zur selben Fakultät gehörten, sträubten
sich gegen die Habilitation von Frauen – trotz der oben zitierten Bemerkung
Hilberts, dass die Universität eben eine Lehr- und keine Badeanstalt sei. Erst
nach langer Diskussion wurde das Gesuch Noethers mit knapper Mehrheit
angenommen und die Göttinger Fakultät stellte für »Fräulein Noether«
einen Antrag auf Dispens beim preußischen Kultusministerium, das die
Habilitation von Frauen 1908 grundsätzlich verboten hatte. Doch auch die
Berliner Behörden stellten sich quer, wenngleich sie Noether die Möglich-
keit einräumten, eine Assistentenstelle zu übernehmen. In dieser Funktion
gelang ihr 1918 der endgültige Durchbruch mit dem folgenden, später nach
ihr benannten Theorem: »Zu jeder kontinuierlichen Symmetrie eines physi-
kalischen Systems gehört eine Erhaltungsgröße«.
Mit dem Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreichs verbesserte sich
insgesamt die Stellung von Frauen – eine Entwicklung, von der auch Emmy
Noether profitierte. Nachdem Einstein seine Kollegen zu einem erneu-
ten Habilitationsantrag gedrängt hatte, erhielt sie im Juni 1919 die venia
legendi; drei Jahre später folgte eine außerordentliche Professur. Damit war
Noether zwar in den Kreis der Professoren aufgenommen, bezahlt wurde
sie dafür allerdings nicht. So musste sie sich weiterhin mithilfe ihrer elter-
1 Zitiert nach Georg von Wallwitz, Meine Herren, dies ist keine Badeanstalt. Wie
ein Mathematiker das 20.
Jahrhundert veränderte, Berlin 32017, S.
131. Für die nach-
folgende Geschichte, siehe Cordula Tollmien, »Sind wir doch der Meinung, daß ein
weiblicher Kopf nur ganz ausnahmsweise in der Mathematik schöpferisch tätig sein
kann …« Emmy Noether 1882–1935, zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Habi-
litation von Frauen an der Universität Göttingen, in: Göttinger Jahrbuch 38 (1990),
S. 153–219.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918