Seite - 14 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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14 Eveline G. Bouwers
Die Geschehnisse in Michoacán und Pugu wurden von vielen Zeitgenos-
sen als eine besondere Form von Gewalt bewertet: nämlich, als »religiöse
Gewalt«. Mit diesem Begriff sind vorrangig Gewaltakte gemeint, die entweder
durch Gläubige verübt und mit Verweis auf transzendentale Inhalte begrün-
det wurden, oder sich gegen religiöse Personen, Gegenstände und Lehren
richteten. Dabei versuchten die Gewaltakteure, zum einen die eigene Lebens-
welt sowie den Einfluss der religiösen Gemeinschaft (Kirche) zu verteidigen,
zum anderen religiöse bzw. konfessionelle Andersartigkeit zu bekämpfen
oder, drittens, eine säkulare Ordnung durchzusetzen. »Religiöse Gewalt«
hatte es vor dem 19. Jahrhundert reichlich gegeben – zu nennen sind z.B. die
mittelalterlichen Kreuzzüge, die frühneuzeitlichen »Religionskriege« und
Pogrome –, doch auch nachdem die amerikanische und französische Revo-
lution Säkularisierungs- und Pluralisierungsprozesse angekurbelt hatten,
kam es im 19. Jahrhundert entgegen der Einschätzung mancher Historiker,
wiederholt zu gewaltbefrachteten Auseinandersetzungen im religiös-säku-
laren, intra- und interreligiösen Bereich3. Außerdem war die semantische
Verknüpfung von religiösen Inhalten und gewaltsamem Handeln weiterhin
wirkmächtig; sie half bei der Deutung, Einordnung und Legitimierung von
Gewaltakten
– selbst, wenn diese nicht unbedingt weltanschaulich-religiösen
Ursprungs waren – und bereitete künftige Exzesse konzeptionell vor. Wie
das Verhältnis von Glaube und Gewalt bzw. von Gläubigen und Gewalt in
unterschiedlichen Kontexten aussah und wie überaus dynamisch es sich
gestaltete, wird vom vorliegenden Band für das 19.
Jahrhundert erstmals sys-
tematisch und vergleichend untersucht.
Die terroristischen Anschläge, die im frühen 21. Jahrhundert auf ameri-
kanischem und europäischem Boden verübt wurden – New York, Arlington
und Shanksville (2001), Madrid (2004) und London (2005) sind die bekann-
testen –, haben die Forschung zu »religiöser Gewalt« befeuert 4. Verzeichnet
der Katalog der »Library of Congress« für die Periode 1945 bis 2001 noch eine
3 So spricht Claude Langlois von einer »disparition de la violence religieuse«; vgl.
Claude Langlois, La Fin des Guerres de Religion. La Disparition de la Violence
Religieuse en France au 19e Siècle, in: French Historical Studies 21 (1998), H. 1,
S. 3–25. Siehe auch Margaret L. Anderson, Afterword. Living Apart and Together
in Germany, in: Helmut Walser Smith, Protestants, Catholics and Jews in Germany,
1800–1914, Oxford 2001, S. 319–332, hier S. 326; Christopher Clark / Wolfram
Kaiser, Introduction. The European Culture Wars, in: Dies. (Hg.), Culture Wars.
Secular-Catholic Conflict in Nineteenth-Century Europe, Cambridge 42006, S.
1–10,
insbes. S. 5f.
4 Damit sei natürlich nicht geleugnet, dass andere Kontinente deutlich mehr Terror-
anschläge und -opfer zu verzeichnen und beklagen hatten, und zwar zu einem deut-
lich früheren Zeitpunkt. Rekonstruiert man allerdings die Chronologie der For-
schung zu »religiöse Gewalt«, wird deutlich, dass es die Anschläge in den USA und
Europa waren, die ein neues wissenschaftliches Interesse am Phänomen eingeleitet
haben.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918