Seite - 26 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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26 Eveline G. Bouwers
seine Opferung erreicht worden sei; ein Akt der Gewalt habe somit Ordnung
geschaffen. In archaischen Gesellschaften erinnerte man sich an dieses mit-
tels der rituellen Verehrung des Sündenbocks. Insgesamt liegt das konstitu-
ierende Moment von Religion bei Girard also in der Beendigung einer sozial-
konditionierten Gewaltspirale.
René Girard gehörte lange zu einer überschaubaren Gruppe von Wissen-
schaftlern und Wissenschaftlerinnen, die sich für das Verhältnis von Glaube
und Gewalt interessierten. Doch sein frühes Engagement war kein Garant
für eine nachhaltige Rezeption seiner Ideen; unter denjenigen, die sich seit
dem frühen 21.
Jahrhundert mit »religiöser Gewalt« beschäftigen, stoßen die
Ideen Girards auf eher wenig Interesse47. Bevor einige dieser neuen Theorien
näher vorgestellt werden, soll auf zwei Merkmale der Debatte hingewiesen
werden. Erstens springt der Fokus auf »religiöse Gewalt« ins Auge48. Diese
Orientierung ist problematisch, führt sie doch zu einer potenziellen Ver-
nachlässigung des Einflusses säkularer Konfliktfelder und gibt weniger eine
Fragestellung vor, als dass sie Fazit ist; statt z.B. nach dem religiösen Element
in der Entstehung, Durchführung und Legitimierung eines Gewaltaktes zu
fragen, wird a priori eine funktionale Verbindung zwischen Religion und
Gewalt semantisch hergestellt. Zweitens fällt die polemische Natur vieler
Beiträge und ihre wenig nuancierte Sichtweise auf das Verhältnis von Glaube
und Gewalt auf, was sicherlich mit dem gesellschaftspolitischen Zündstoff,
den das Phänomen »religiöse Gewalt« in sich birgt, zusammenhängt 49. Auch
in Teilen der nachfolgenden Literatur offenbart sich diese Tendenz.
Eine erste Gruppe von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen geht
von einem Verhältnis zwischen Religion und Gewalt aus, in dem Glaube ein
immanentes Gewaltpotenzial besitzt. Besonders hervorgetan hat sich diese
Sichtweise in Forschungen zum Monotheismus. In ihrer Studie über Gewalt
und Identität im hebräischen Tanakh stellte Regina M. Schwarz, Professorin
für englische Literatur, bereits 1997 die These auf, dass der Monotheismus, da
47 Neben »religiöser Gewalt« fand zuletzt auch das Thema der religiösen Wiederbe-
lebung und Pluralisierung zunehmend Aufmerksamkeit. Für deutschsprachige Bei-
träge, siehe auch Martin Riesebrodt, Die Rückkehr der Religionen. Fundamenta-
lismus und der Kampf der Kulturen, München 2000; Friedrich Wilhelm Graf, Die
Wiederkehr der Götter. Religion in der modernen Kultur, München 2004.
48 Auf dieses Problem haben zuletzt einige frühere Protagonisten der Debatte hinge-
wiesen. So erschienen kürzlich zwei Handbücher, die im Titel explizit auf »Religion
und Gewalt« verweisen, siehe auch Mark Juergensmeyer u.a. (Hg.), The Oxford
Handbook of Religion and Violence, New York 2013; Andrew R. Murphy (Hg.), The
Blackwell Companion to Religion and Violence, Malden 2011.
49 Überspitzt gesagt besteht bei mancher Literatur eine Tendenz, »religiöse Gewalt«
stark aus der eigenen Biographie zu denken, wobei oft eine selektive Quellenauswahl
vorgenommen wird, siehe auch Christopher Hitchens, God is not Great. How Reli-
gion Poisons Everything, New York 2007; Charles Selengut, Sacred Fury. Under-
standing Religious Violence, Walnut Creek 2003.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918