Seite - 29 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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29Glaube
und Gewalt
Raum, (iii) zur religiösen Gemeinschaft und (iv) die Aussicht auf Erlösung
meint. Da diese Ressourcen weder allgemein zugänglich seien, noch ihre
Existenz objektiv verifiziert werden könne, komme es zu zwischenmenschli-
chen Rivalitäten und Gewalt 61.
Insgesamt belegt dieser kursorische Überblick die Vielschichtigkeit der
Theorien über das Wesen der »religiösen Gewalt«. Zugleich offenbart er eine
Tendenz zur Monokausalität, d.h. zur Engführung des Verhältnisses von
Glaube und Gewalt auf eine spezifische Konstellation62. Demnach sei Gewalt
dem monotheistischen Glauben immanent, stelle »religiöse Gewalt« eine
semantische Umdeutung eines im Kern politischen Projekts bzw. Konfliktes
dar, oder biete Religion den sozial und kulturell strukturierenden Rahmen,
in dem der Kampf zwischen Gut und Böse bzw. um religiöse Ressourcen
stattfinde. Blickt man nun aus Sicht der neuzeitlichen Welt auf diese Theo-
rien, zeigt sich, dass sich immer wieder neue Zusammenhänge zwischen
Glaube und Gewalt finden lassen; keine der obengenannten Theorien kann
alle im vorliegenden Band dargestellten Fallstudien erklären. Auch deshalb
ist in den meisten Kapiteln nicht von der einen »religiösen Gewalt« die Rede,
sondern wird das Verhältnis von Glaube und Gewalt bzw. von Gläubigen und
Gewalt eruiert.
Historiographische Auseinandersetzungen mit
Glaube und Gewalt in der Neuzeit
Ernsthaft behaupten, dass das Verhältnis von Glaube und Gewalt ein unter-
belichtetes Thema der historischen Forschung sei, kann man sicherlich nicht.
Für fast alle Epochen liegen sowohl Überblicksdarstellungen als auch Mono-
graphien vor63. Bei näherer Betrachtung weist diese Literatur allerdings zwei
Lücken auf. Zum einen konzentriert sie sich mehrheitlich auf Krieg und
verbindet Gewalt hauptsächlich mit Kirche oder Klerus, weniger mit der
61 Siehe auch Hector Avalos, Fighting Words. The Origins of Religious Violence,
Amherst 2005. Damit scheint Avalos das Argument von Girard umzukehren; wo für
Girard die Opferung eines Sündenbocks die Rivalität aus der Gemeinschaft verbannt
(sprich: Religion befreit von Gewalt), sieht Avalos die Entstehung von Gewalt in dem
religiös bedingten Ressourcenstreit.
62 Für diese Kritik siehe u.a. auch die These der »Pluripotenzialität« der Religion, d.h.
die Religion kann ebenso gut integrativ, wie desintegrativ wirken. Vgl. Rogers Bru-
baker, Religious Dimensions of Political Conflict and Violence, in: Sociological
Theory 33 (2015), H. 1, S. 1–19.
63 Für die Antike, siehe auch Johannes Hahn (Hg.), Spätantiker Staat und religiöser
Konflikt. Imperiale und lokale Verwaltung und die Gewalt gegen Heiligtümer, Ber-
lin 2011; Brent D. Shaw, Sacred Violence. African Christians and Sectarian Hatred
in the Age of Augustine, Cambridge 2011. Ich danke Muriel Moser-Gerber für diese
Hinweise. Für das Mittelalter, siehe auch Hermann Kamp (Hg.), Schwertmission:
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918