Seite - 36 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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36 Eveline G. Bouwers
Zerstörung ihres Besitzes und gezielten Drohungen gegen die jüdische Bevöl-
kerung. Buchen verbindet die veränderte Gewaltbegründung mit der poli-
tischen Mobilisierung der galizischen Landbevölkerung – ein Prozess, der
maßgeblich vom Klerus geprägt war. Die Überführung historisch tradierter
sowie biblisch begründeter anti-jüdischer Ressentiments in einen blanken
Antisemitismus bedeutete zugleich den Wandel eines bäuerlichen Feindbil-
des, das sich statt an einer ständischen, nun an einer religiös begründeten,
ethnischen Differenz orientierte. Im dritten Sektionsbeitrag erforscht Katha-
rina Stornig, wie Missionsschwestern in Deutsch-Neuguinea versuchten, u.a.
mittels Schlägen die ihnen anvertrauten indigenen Mädchen zu züchtigen.
Körperliche Gewalt war im Kaiserreich eine gängige Erziehungsmethode, die
besonders dazu geeignet war, Kinder von Handlungen abzuhalten, die der
religiösen Moral widersprachen. Über das Maß an Gewalt wurde allerdings
gestritten, so auch unter den Ordensschwestern auf Tumleo, wo eine beson-
ders eifrige Missionarin ihr Verhalten mit Bibelstellen, die ihr Vorgesetzter
ihr übermittelt hatte, rechtfertigte. Stornig zufolge drehte sich die Debatte
um das Erzwingen von »Gehorsam«; galt es zum einen, die Erziehung sicher-
zustellen, wofür zur Not auf eine theologisch legitimierte Gewalt zurückge-
griffen wurde, sollte zum anderen das Leben in der Mission geregelt werden.
Die (gewaltbefrachtete) Züchtigung sündhafter Kinder regelte die Beziehun-
gen zwischen den Schwestern, wie auch zwischen ihnen und der indigenen
Bevölkerung.
Sektion II-1 beschäftigt sich mit der religiösen Aufladung von Gewalt-
akten, die ihren Ursprung überwiegend im säkularen Bereich hatten. Sean
Farrell analysiert die mediale Rezeption des »Bahnfrevels« nahe Trillick in
Ulster, wo im September 1854 ein Zug mit 800 Personen entgleiste. Obwohl
mehrere Zeitgenossen auf technisches Versagen hinwiesen, zögerten die Zei-
tungen nicht, den Unfall im Sinne eines konfessionellen Konfliktes umzu-
deuten. Ultraprotestantische Medien wiesen darauf hin, dass die Passagiere,
darunter der Oranierführer und Earl of Enniskillen, auf dem Rückweg von
einer Feier in Derry / Londonderry gewesen waren und werteten das Gesche-
hen als religiös motivierten Anschlag. Katholische Medien kritisierten diese
Interpretation scharf; sie wiesen auf den Mangel an Beweismaterial hin
– tat-
sächlich wurden die festgenommenen Bahnarbeiter, allesamt irische Katho-
liken, später freigesprochen – und verurteilten den Fanatismus der Oranier.
Wie Farrell zeigt, war es gerade die religiöse Aufladung des Unfalls in den
Medien, die dafür sorgte, dass der konfessionelle Gegensatz verstärkt wurde.
In seinem eingangs erwähnten Beitrag untersucht Richard Hölzl die politi-
sche Instrumentalisierung der Zerstörung einer deutschen Benediktiner-
mission im ostafrikanischen Pugu. Im Januar 1889 war die Mission von den
Kämpfern des Swahili-Führers Abushiri ibn Salim al-Harthi überfallen wor-
den, wobei mehrere Missionare und Missionarinnen getötet und entführt
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918