Seite - 47 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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47Religion
und Gewalt in den Revolutions- und Napoleonischen Kriegen
Kirche und Gegenrevolution fest. Umgekehrt bedeutete für viele Katholiken
nunmehr die Revolution bestenfalls Antiklerikalismus, wenn nicht gleich
das anbrechende Reich des Antichristen.
Während der 18 Monate, die zwischen der Zivilverfassung und dem
Kriegsausbruch im April 1792 lagen, radikalisierte sich die Revolution zuse-
hends und wurde dabei immer antiklerikaler. Einen neuen Gipfel der Bar-
barei erklomm sie im September 1792, als in Städten im ganzen Land revo-
lutionäre – um nicht zu sagen: kriminelle – Meuten hunderte Priester sowie
weitere Männer und Frauen erschlugen und erstachen. Das berüchtigtste
dieser Massaker fand in Paris statt12. Priester gehörten auch zu den bevor-
zugten Opfern der sogenannten noyades, bei denen bei Nantes, Angers und
Saumur etwa 1
800 Menschen in der Loire ertränkt wurden. Auf dem Höhe-
punkt des Terrors ließ Jean-Baptiste Carrier, ein Abgeordneter der Natio-
nalversammlung, Gefangene in Schiffen auf den Fluss bringen und sie ver-
senken13. Womöglich sind auch die noyades als Verzerrung eines religiösen
Motivs deutbar: Der Zusammenhang von Wasser und Reinigung liegt auf
der Hand, und die revolutionären Extremisten bedienten sich mit grausiger
Wirkung dieser Metapher14. Die Nachricht von solch spektakulären Gräueln
verbreitete sich ebenso rasch wie die Geschichten von Blasphemie und Bil-
derstürmerei französischer Truppen, die man sich in Belgien, Spanien, im
Rheinland, in der Schweiz und in Norditalien erzählte, wohin 30
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Priester aus Frankreich geflohen waren15.
Als diese Nachbarländer von Frankreich später überfallen wurden, wuss-
ten die Bewohner also bereits, was sie zu erwarten hatten, bzw. gab es Erwar-
tungen eines bestimmten Verhaltens der Franzosen. Diese Erwartungen wur-
den nur selten enttäuscht. Im Rheinland und in Belgien, die bald Frankreich
einverleibt wurden, zerschlugen die Franzosen Kruzifixe, traten Hostien
und Reliquien mit Füßen, schändeten Marienstatuen, zwangen Organisten
während der Messen revolutionäre Lieder zu spielen, führten Prostituierte
12 Vgl. Timothy Tackett, The Coming of the Terror in the French Revolution, Cam-
bridge MA 2015, S. 210–214.
13 Vgl. Richard Cobb, The People’ s Armies. The Armées Révolutionnaires, Instrument
of the Terror in the Departments, April 1793 to Floreal Year II, übersetzt von Mari-
anne Elliott, New Haven 1987, S. 400–403.
14 Vgl. Davis, The Rites of Violence, S. 82f.; Edward J. Woell, Small-Town Martyrs.
Religious Revolution and Counterrevolution in Western France, 1774–1914, Milwau-
kee 2006, S. 161.
15 Zu exilierten Geistlichen, siehe auch Arnulf Moser, Die Französische Emigranten-
kolonie in Konstanz während der Revolution (1792–1799), Sigmaringen 1975; Bern-
ward Kröger, Der französische Exilklerus im Fürstbistum Münster (1794–1802),
Mainz 2005; Jean-Philippe Luis, Une histoire de réfugiés politiques. Le clergé fran-
çais réfugié en Espagne pendant la Révolution Française, in: Anne Dubet / Stéphanie
Urdican (Hg.), Exils, passages et transitions. Chemins d’ une recherche sur les
marges, Clermont-Ferrand 2008, S. 25–34.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918