Seite - 50 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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50 Philip Dwyer
dies zuvor nur in einigen protestantischen Landesherrschaften des Heiligen
Römischen Reiches der Fall gewesen war24. Im September 1796 wurden geist-
liche Orden verboten und ihr Eigentum verstaatlicht.
Ähnlich verlief auch die Anwendung französischer Gesetze nach der
Annexion der deutschen linksrheinischen Gebiete 1797. Zum Missfallen
vieler Katholiken wurde die Religionsfreiheit eingeführt, Prozessionen und
Feierlichkeiten außerhalb der Kirchen verboten, alle christlichen Symbole
im öffentlichen Raum – Bildstöcke, Statuen, Kruzifixe – entfernt und die
Zivilehe verpflichtend gemacht. Auch hier wurde der gregorianische durch
den revolutionären Kalender ersetzt, wenngleich die deutschen Verwaltungs-
beamten diesen Erlass so häufig ignorierten wie auch die Zivilbevölkerung
vor Ort. Priester hatten einen Eid auf die Republik zu schwören, und Ämter
in den Kirchengemeinden waren durch Wahlen zu besetzen25. Es fehlte also
nicht an Gründen, aus denen die Kirche und insbesondere der Klerus die
Herrschaft der Franzosen ablehnen konnten, zumal auf die militärischen
Operationen eine Zivilverwaltung folgte, die sich der Säkularisierung des
Alltags verschrieben hatte. Die Ortsgeistlichen büßten dementsprechend an
Macht und Status ein. All dies war Teil des revolutionären Prozesses: Die
Revolutionäre eigneten sich zahlreiche Rollen an, die zuvor der Kirche vor-
behalten gewesen waren, und übernahmen sie in ihr politisches System26.
Im Zuge dessen schufen sie auch eine Ordnung revolutionärer Riten und
Symbole, mit denen sie die Bevölkerung zu erziehen und das Christentum
abzulösen trachteten.
Dieser Antiklerikalismus setzte sich, wiederum in wechselnder Intensi-
tät, im Ersten Kaiserreich fort. Zwar waren die Truppen Napoleons diszi-
plinierter als ihre revolutionären Vorgänger, und der politische Vorteil, der
in einer Aussöhnung zwischen Staat und Kirche lag, war Napoleon wohl
bewusst – was im Konkordat von 1801 gipfelte. Doch hatte eine Wiederan-
näherung an die Kirche zu den Bedingungen Napoleons zu erfolgen, und da
er von der Kirche erwartete, dass sie sich seinem Willen fügte, lag er stän-
dig im Streit mit der kirchlichen Hierarchie in Frankreich wie im Vatikan.
Langfristig mag es stimmen, dass mit dem Konkordat eine ein Jahrhundert
währende Befriedung religiöser Streitigkeiten in Frankreich begann, wie
dies etwa Claude Langlois behauptet27. Kurzfristig verschlechterten sich die
24 Hierzu und zum Folgenden vgl. Alfred Minke, Religion, révolution et contre-révolu-
tion en Belgique et en Rhénanie, in: Bernhard Plongeron (Hg.), Histoire du christia-
nisme. Les défis de la modernité, 1750–1840, Paris 1997, S.
433–439, hier S.
435,
437f.
25 Vgl. Hansgeorg Molitor, La vie religieuse populaire en Rhénanie Française, 1794–
1815, in: Plongeron, Pratiques religieuses, S. 59–67, hier S. 62. Allerdings fällt auf,
dass die Franzosen im Rheinland so weit gingen, auch die Zivilverfassung einzufüh-
ren. Ähnliches gilt für die italienischen Satellitenstaaten.
26 Vgl. Desan, Reclaiming the Sacred, S. 2.
27 Vgl. Langlois, La fin des guerres, S. 3–25.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918