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56 Philip Dwyer
Französische Gewalt und religiöse Symbolik
An dieser Stelle erlaube ich mir eine Reflexion über zwei weitere Aspekte
dieser »Religions«-Kriege einzuschieben: 1. eine Reflexion über die Art und
Weise, wie die Franzosen dem gewaltsamen Widerstand begegneten, und
2. über deren Darstellung in der feindlichen Propaganda. Im Zuge ihrer
Besetzung Spaniens errichteten die Franzosen rasch militärische Sonder-
gerichte, um des bewaffneten Widerstands der Zivilbevölkerung Herr zu
werden. Dabei wurde häufig die Todesstrafe verhängt, vorzugsweise durch
den Strang. Häufig war auch die anschließende Zerteilung der Leiche. Die
Leichenteile wurden dann an Bäumen oder Galgen angebracht, und zwar in
der Nähe des Wohnortes des Gehenkten. Salopp gesagt: Vom Denken der
Aufklärung erkennt man hier kaum eine Spur. In Spanien galt die Garotte
als das relativ »gnädigere« Vollzugsinstrument, jedenfalls als menschenwür-
digere Strafe im Vergleich zum öffentlichen Galgen, der nebst Folter Erin-
nerungen an die Praktiken weckte, welcher sich die spanischen Bourbonen
zur Abschreckung bedient hatten56. Mehr noch beinhaltete die von den
Franzosen begangene Leichenschändung eine religiöse Symbolik, die von
der örtlichen Bevölkerung sehr wohl verstanden wurde, war damit doch das
Opfer jeglicher Hoffnung auf Auferstehung beraubt. Unter zutiefst religiö-
sen Menschen, die auf die Unantastbarkeit von Grab und Begräbnis großen
Wert legten, musste ein solcher Umgang mit den Leichen wie eine Verurtei-
lung zum ewigen Höllenfeuer wirken. Ähnlich war das Vorgehen im Süden
Italiens, in Kalabrien, wo man glaubte, dass ein Tod durch Erstickung oder
Erdrosselung der Seele den Weg in den Himmel versperrte. Um also eine
größtmögliche Wirkung unter der ortsansässigen Bevölkerung zu erzielen,
hatten die französischen Generäle Order, gefangene banditi nicht zu erschie-
ßen, sondern zu erhängen57. Die Franzosen bedienten sich bewusst solcher
Techniken, doch die damit verbundene Hoffnung auf Abschreckung erwies
sich als trügerisch. Insgesamt lässt sich feststellen, dass Handlungen, die wir
heute schlicht als Extremfälle von Gewalt anzusehen geneigt wären, durch-
aus noch eine religiöse Symbolik enthalten, die sie mit den Religionskriegen
des 17. Jahrhunderts verbindet.
56 Vgl. Jean-Marc Lafon, Justices d’ exception napoléoniennes, militaire et civile, dans
l’ Espagne occupée. L’ exemple de l’ Andalousie, 1810–1812, in: Crime, Histoire &
Sociétés / Crime, History & Societies 13 (2009), H. 2, S. 69–87, hier S. 74f.; Isabelle
Renaudet, Mourir en Espagne. »Garrot Vil« et exécution capitale dans l’ Espagne
contemporaine, in: Régis Bertrand / Anne Carol (Hg.), L’ exécution capitale. Une
mort Donnée en Spectacle XVIe–XXe Siècles, Aix-en-Provence 2003, S. 83–106;
Robert Muchembled, Le Temps des supplices. De l’ obéissance sous les rois absolus,
XVe–XVIIIe siècles, Paris 1992, S. 115–122.
57 Vgl. Cadet, Honneur et violences, S. 312.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918