Seite - 85 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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Gewalt und Märtyrertum
des Schulgesetzes die Sakramente versagten71. Auch Laien handelten unter-
schiedlich. Manche Eltern gaben zu, ihre Kinder infolge von »Zwang« an eine
andere Schule geschickt zu haben, während andere erzählten, wie sie dem
Druck standgehalten hatten
– z.B. indem sie die Gemeindeschule lobten und
inhaltliche Kontinuitäten über den 1. Juli 1879 hinaus betonten (weder die
Schule noch die Lehrer hätten sich mit dem Schulgesetz geändert)72. Man-
che Gläubige reagierten trotzig. Einem Kirchengänger war es »herzlich egal«,
dass ihm die Absolution verweigert wurde; ein Sohn unterstellte dem ört-
lichen Pfarrer Heuchlerei, nachdem sein wohlhabender Vater »infolge des
Gemeindeschulbesuchs seines Enkels gestorben« war und dennoch kirch-
lich bestattet wurde; ein Lehrer kritisierte die Zulassung von Leopold II.
zur Osterbeichte, wurde sie ihm, des Königs »Bediensteten«, doch vorent-
halten73. In Herzele stellte ein Gläubiger gar fest: »Wenn Unser Vater also
zur Zwang für die Menschen dienen muss, dann würde ich nicht danach
umsehen [d.h. mich darum kümmern – Anm. E.B.] um so zu sterben«74.
Solche Reaktionen sind wichtig, da sie die Bedeutung des Kampfes um den
Grundschulunterricht für die Geschichte des katholischen Lebens in Belgien
offenbaren. Demnach folgte auf die Unzufriedenheit mit den klerikalen Vor-
schriften in manchen Fällen eine emotionale Distanzierung, die in letzter
Instanz ein Fernbleiben von den kirchlichen Praktiken begünstigte. Damit
war die u.a. von Charles Woeste und Nuntius Vannutelli befürchtete Entfer-
nung der Gläubigen von der Kirche eingetreten.
Von der Inquisition und den »Geusen«:
Katholiken und Gewalt in Belgien
Im Herbst 1881 tauchten einige »Chefs von Heule« abermals in den Zei-
tungskolumnen auf, als sie in Kortrijk gegen die Ausweisung einer Män-
nerkongregation demonstrierten75. Kurz bevor sie handgreiflich wurden,
erschien ein Bruder samt Kruzifix auf der Türschwelle, was die Menge dazu
brachte, den Kopf zu senken, zu knien und zu beten; damit wurde die Idee
71 Pieter Wille am 7. Januar 1882 in Zottegem, in: Ebd., Bd. 2–1, S. 124; Leonce-August
Vervarcke am 27. September 1880, in: Ebd., Bd. 2–1, S. 558; Antoon De Buyst am
15. September 1881 in Herzele, in: Ebd., Bd. 2–2, S. 1229; Lodewijk Geltmeyer am
6. Dezember 1880 in Deinze, in: Ebd., Bd. 2–1, S. 235.
72 August van Caenegem am 7.
Januar 1882 in Zottegem, in: Ebd., Bd.
2–1, S.
139; Theo-
door Coppens am 27. Februar 1882 in Oosterzele, in: Ebd., Bd. 2–1, S. 370.
73 Sophia Van der Beeken am 27. Februar 1882 in Oosterzele, in: Ebd., Bd. 2–1, S. 379;
Florent ’t Kindt am 20. Dezember 1880 in Nevele, in: Ebd., Bd. 2–2, S. 253; Theofiel
Cools am 4. Januar 1882 in Eeklo, in: Ebd., Bd. 2–1, S. 100.
74 Camiel De Meerleer am 22. September 1881 in Herzele, in: Ebd., Bd. 2–2, S. 1239.
75 Het Handelsblad van Antwerpen, 15. September 1881.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918