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Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Seite - 95 -
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95Katholischer Pluralismus und die Gewalt der religioneros Präsident Sebastián Lerdo de Tejada in Form der Reformgesetze in den Ver- fassungsrang erhoben hatte, rundheraus ab. Dementsprechend beteiligten sich so gut wie keine Geistlichen an den Gewalttaten6. Warum aber ließ die Kirche ihre vermeintlichen Fußtruppen im Stich? Um zu verstehen, warum in Teilen Mexikos 1873 »religiöse Gewalt« aufflammte, muss sich unser Blick weg vom Dualismus von Kirche und Staat nach innen richten und sich um eine Analyse des katholischen Pluralismus bemühen. Der religionero-Aufstand ist ganz klar als Fallbeispiel »religiöser Gewalt« einzuordnen. Zwar war der Aufstand mancherorts in ein Geflecht materi- eller und politischer Faktoren verwickelt, doch wurzelte der Konflikt ganz wesentlich in religiösen Spannungen7. Erklärtes Ziel der religioneros war die Erhaltung der katholischen Sonderstellung sowie der traditionellen Rolle der Religion in der mexikanischen Öffentlichkeit, und manche von ihnen rie- fen noch mit dem letzten Atemzug ihren Schutzheiligen an. Der Schlachtruf »Tod den protestantes! Es lebe die Religion!« lässt gar an einen konfessio- nellen Konflikt denken, da protestante im Spanischen auch die Anhänger Luthers und Calvins bezeichnet. Doch der Schein kann trügen: In dem an der Küste westlich von Mexiko-Stadt gelegenen Bundesstaat Michoacán, in dem der Aufstand seinen Ausgang nahm, gab es so gut wie keinen Kontakt zwischen den ortsansässigen Katholiken und Protestanten. Die Opfer waren also, wie schon gesagt, durchweg Katholiken. Selbst wo die Gewalt sich gegen Antiklerikale richtete, legte sie vor allem den immer tieferwerdenden Gra- ben frei, der sich innerhalb des katholischen Konservatismus bezüglich des Wesens des Glaubens und der zu seinem Schutz geeigneten Mittel aufge- tan hatte. Die mexikanische Kirche ist und war kein Monolith. Unter ihren Gemeindegeistlichen fanden sich Bettelmönche alter Schule und junge, in Europa ausgebildete Reformer ebenso wie Liberale, die sich mitunter nahe am Schisma bewegten. Ihre kulturelle Macht war im fragmentierten Mexiko nicht überall gleich stark, und man könnte mit einigem Recht behaupten, es habe so viele eigenständige religiöse Kulturen wie Pfarrgemeinden gegeben8. Überdies durchlief die Kirche zur Zeit des Aufstands gerade einen Pro- zess tiefgreifenden inneren Wandels, der mit der Auseinandersetzung der Weltkirche mit liberalen und nationalistischen Bewegungen in der atlan- tischen Welt zusammenhing. Wie auch in Europa gaben solche inneren 6 Vgl. Iñiguez Mendoza, »¡Viva la religión!«, S.  337–339; siehe auch Brian A. Stauffer, Victory on Earth or in Heaven. Mexico’ s Religionero Rebellion, Albuquerque 2019 [im Druck]. 7 Insbesondere Konflikte zur Frage der Landprivatisierung beeinflussten den Auf- stand im Küstengebirge Michoacáns, ebenso wie Partei- und Clan-Streitigkeiten, siehe auch Stauffer, Victory on Earth, Kap.  5. 8 Vgl. Benjamin T. Smith, The Roots of Conservatism in Mexico. Catholicism, Society, and Politics in the Mixteca Baja, 1750–1962, Albuquerque 2012, S.  12.
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Glaubenskämpfe Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Titel
Glaubenskämpfe
Untertitel
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Herausgeber
Eveline Bouwers
Verlag
Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
Datum
2019
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-666-10158-8
Abmessungen
15.9 x 23.7 cm
Seiten
362
Schlagwörter
19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
Kategorien
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