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113Katholischer
Pluralismus und die Gewalt der religioneros
und andere Indios traten schon bald den religioneros bei. Eine weitere Hoch-
burg der religioneros war das nahegelegene Huango, wo die Lokalverwaltung
das alte Augustinerhospital der Indigenen beschlagnahmte, und zwar vor-
geblich zur Abgeltung ausstehender Steuerzahlungen auf Gemeindegut, das
der Privatisierung entgangen war73. Auch in Jiquilpan und Sahuayo, wo ver-
stärkte Aktivität der religioneros zu vermerken war, gingen Franziskanerhos-
pitäler und gemeinschaftlicher Grundbesitz in den 1860er und 1870er Jahren
in Privatbesitz über oder wurden zerstört74.
Manchmal spielten sich solche Konflikte auch gemeinschaftsintern ab. In
der mehrheitlich von Purépecha bewohnten Ortschaft Chilchota verkaufte
der Indigenenführer José María Reyes Constantino 1871 genossenschaftliche
Grundstücke zur Finanzierung liberaler Bestrebungen. Der daraus hervor-
gehende Riss innerhalb der Ortsgemeinschaft sorgte für viel Verbitterung
und mündete schließlich in einen religionero-Aufstand vor Ort75. Vielsagend
ist besonders, wie sehr die religioneros an Formen der Frömmigkeit hingen,
die mit dem von den mexikanischen Bischöfen propagierten ultramontanen
Geist wenig gemein hatten. So riefen etwa die Rebellen, die im Dezember 1874
Purépero überfielen, die »Virgen de los Remedios« von Totolan an, die Schutz-
patronin eines nahegelegenen Indigenendörfchens. Der bessergestellte Rebel-
lenführer Felix Venegas stellte seinen Aufstand von 1875 unter das Zeichen
der »Jungfrau von Guadalupe«76. Im April 1876 auf die Vollstreckung seines
Todesurteils wartend, verfügte Socorro Reyes – ein Titan unter den religi-
oneros –, dass von seinen letzten neun Reales Kerzenwachs für den »Herrn
der Gesundheit«, ein Bild des gekreuzigten Christus im örtlichen Franziska-
nerhospital, gekauft werden solle77. Auch andere Rebellen legten eine Vor-
liebe für geheiligte Gegenstände an den Tag, die man wohl barock nennen
darf. In Tlazazalca sollen die Rebellen »Reliquien« an Halsketten getragen
73 Antonio Vargas und die Indigenen von Huango an den Innenminister, Morelia,
11.
Juni 1872; Innenminister, Morelia, an Albino Fuentes Acosta, Puruándiro, 25.
Juli
1872; Innenminister, Morelia, an Albino Fuentes Acosta, Puruándiro, 23. Februar
1873, Albino Fuentes Acosta, Puruándiro, an den Innenminister, Morelia, 18. März
1873; José María Real, Villa Morelos, an den Innenminister, 10. September 1902,
AGHPEM, Hijuelas, Distrikt Puruándiro, Bd. 3.
74 Inventurliste der Pfarrei Sahuayo, 4. März 1875, ADZ, DGP 972; Julián Pulido und
die Indios von Jiquilpan an den Diözesansekretär, Zamora, 2. Februar 1871; Pascual
Bayllac, Zamora, an den Diözesansekretär, Zamora, 19. Juni 1871, ADZ, DGP 505;
José Guadalupe Romero, Noticias para formar la historia y estadística del obispado
de Michoacán, Mexiko-Stadt 1862, S. 102; Ramón Sánchez, Bosquejo estadístico e
histórico del distrito de Jiquilpan de Juárez, Morelia 1896, S. 150–158.
75 Rafael Paz Romero, Zamora, an den Innenminister, Morelia, 3. November 1871;
José María Reyes Constantino, Chilchota, an den Innenminister, 23. Oktober 1872,
AGHPEM, Hijuelas, Zamora, Bd. 10; La Idea Católica, 25. April 1875.
76 El Pájaro Verde, 9. Juni 1875; vgl. Cosío Villegas, La república restaurada, S. 611.
77 La Voz de México, 26. April 1876, 28. April 1876, 29. April 1876; La Iberia, 30. April
1876.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918