Seite - 123 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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unter ländlichen Katholiken in der späten Habsburgermonarchie
rei, um sich den finanziellen Leistungsansprüchen aus Dolina entziehen zu
können30. Im September 1898 kam ein neuer Kaplan in Ricmanje an. Für
Dr. Anton Požar, einen promovierten Kirchenjuristen, der zuvor bereits eine
Pfarrerstelle im istrianischen Paz / Passo innegehabt hatte, war die Ernen-
nung zum Dorfkaplan jedoch keine Belohnung31. In Ricmanje traf er auf
eine Kirchengemeinde, die auf Kriegsfuß mit der Kirchenobrigkeit stand.
Im August 1900 erreichte ein slowenischsprachiges Schreiben das Triesti-
ner Bistum: In einem Brief, der 132 Familien aus Ricmanje und 29 aus Log
(insgesamt 524 Menschen aus Ricmanje und 131 aus Log) als Unterstützer
aufführte, wurde mitgeteilt, dass die zwei Dörfer »aus dem römisch-katho-
lischen Ritus« ausgetreten seien. Das Schreiben betonte implizit, dass es um
keinen Austritt aus der katholischen Kirche (im Sinne eines Schisma) ginge,
sondern um einen Wechsel des Ritus: »wir bleiben ansonsten in der heili-
gen katholischen Kirche, aber wir treten in die griechisch-katholische Kirche
über«32. Die griechisch-katholische Kirche ist eine mit Rom unierte Kirche.
Auch wenn ihre religiösen Praktiken mit jenen der Orthodoxie nahezu iden-
tisch sind, stellt die griechisch-katholische Kirche nur einen Ritus innerhalb
der katholischen Kirche dar, sie ist von Rom nicht losgelöst. In der Habs-
burgermonarchie gehörten größere Teile der ukrainisch- und rumänisch-
sprachigen Bevölkerung zu dieser Kirche. Ein uniertes Bistum existierte
auch im kroatischen Križevci33. Kroatien gehörte zwar staatsrechtlich zur
ungarischen Reichshälfte der Habsburgermonarchie, weswegen der dortige
Bischof aus der österreichischen Makroperspektive sogar als »ausländischer
Bischof« galt34. Den Dorfbewohnern in Ricmanje wird er aber – wegen der
geographischen, geistigen und sprachlichen Nähe
– keinesfalls »ausländisch«
vorgekommen sein.
Ein Übertritt in die griechisch-katholische Kirche hätte ermöglicht, in
Ricmanje muttersprachliche Gottesdienste einführen zu dürfen, da diese
in der griechisch-katholischen Kirche, im Gegensatz zur römischen, die
30 Bericht der Triestiner Statthalterei über die Lage in Ricmanje und Log (29.
November
1899), in: AST, Luogotenenza, Atti Generali (Allgemeine Akten; weiter: AG), busta
(b.) 791, fasc. 4.2.5, 1899 / 27286.
31 Zum Lebenslauf von Anton Požar siehe seinen tabellarischen Lebenslauf, Župnijski
arhiv v Ricmanjih / Archivio parocchiale di Ricmanje (Pfarrarchiv in Ricmanje, wei-
ter: ŽAR), Fascicoli di sacerdoti: Angel Kosmač (Dossiers der Pfarrer: Angel Kosmač,
weiter: Kosmač), fasc. 6 [keine weitere Nummerierung].
32 Brief aus Ricmanje an das Bistum (8.
August 1900), in: Archivio Diocesano di Trieste
(Bischöfliches Archiv von Triest; weiter: ADT), Gestione Ordinare (Allgemeine Ver-
waltung; weiter: GO), 1900 / 2139.
33 Zur Geschichte des Bistums von Križevci, siehe auch Pirigyi István, A magyarors-
zági görögkatolikusok története. II. Rész, Nyíregyháza 1990, S. 14–23.
34 Bischof Drohobeczky protestierte dagegen, Brief von Bischof Drohobeczky an das
österreichische Kultusministerium (29.
Dezember 1900), in: AST, Luogotenenza, AP,
b. 265, fasc. 4.1.5., 1900 / 3427.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918