Seite - 125 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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125Gewalt
unter ländlichen Katholiken in der späten Habsburgermonarchie
Eine Wende nahm die Geschichte Ende 1901 mit dem Tod des bisherigen
Triestiner Bischofs, Andrej Marija Šterk. Bischof Šterk hatte die volkssprach-
lichen Gottesdienste schweigend zur Kenntnis genommen, vertrat er doch
die Meinung, dass abweichende Praxen auf der lokalen Ebene zu dulden
seien, wenn damit Ruhe und Frieden gewährleistet werden konnten42. In der
bischöflichen Vakanz intensivierte Kaplan Požar seine Aktionen zugunsten
der altslawischen und slowenischsprachigen Gottesdienste43. Er lud etwa
im September 1901 Bischof Drohobeczky nach Ricmanje ein, um mit ihm
einen kroatischsprachigen Gottesdienst nach griechisch-katholischem Ritus
zu zelebrieren44. Diesem Gottesdienst wohnten mehrere Katholiken aus den
Nachbardörfern bei; einige von ihnen meldeten kurz darauf den Austritt aus
der römisch-katholischen Kirche an, weil ihnen der von Bischof Drohobe-
czky zelebrierte Gottesdienst so gut gefallen habe45.
Im August 1902 wurde dann ein neuer Bischof für Triest ernannt: Franz
Xaver Nagl trat nach mehr als 70 Jahren als erster nicht-südslawischer
Bischof die Stelle an. In kirchlichen und kirchenorganisatorischen Fragen
vertrat er die strikte Linie von Pius X., dem neuen Papst46. Auch im Kon-
flikt in und um Ricmanje setzte Bischof Nagl aktiv diese Linie durch: keine
Akzeptanz normabweichender, lokaler Partikularitäten, Verbot von altslawi-
schen und / oder muttersprachlichen Gottesdiensten, mehr Gehorsam unter
den Priestern gegenüber der kirchlichen Obrigkeit und den päpstlichen
Vorschriften.
42 Vgl. Paolo Blasina, Santa Sede, vescovi e questioni nazionali. Documenti vaticani
sull’ espiscopato di A.M Sterk a Trieste (1896–1901), in: Rivista di storia e letteratura
religiosa 24 (1988), H. 3, S. 471–502, hier S. 490.
43 Um die bestehende Tradition der altslawischen Liturgie in Ricmanje beweisen zu
können – nach den päpstlichen Vorschriften durfte die altslawische Liturgiesprache
nur dort praktiziert werden, wo diese Praxis seit mindestens 30 Jahren bestand –,
verlangte Kaplan Požar ein altslawisches Messbuch aus dem Triestiner Diözesenar-
chiv zurück, das der Kirchengemeinde in Ricmanje gehört haben soll. Brief von Don
Požar an das Bistum über den Erhalt des Messbuches (16. Dezember 1901), in: ADT,
GO, 1901 / 3806.
44 Bericht des Landes-Gendarmarie-Commandos von Koper / Capodistria über
den Besuch (16. September 1901), in: AST, Luogotenenza, AP, b. 265, fasc. 4.1.5,
1901 / 2096.
45 Protokoll der Bezirkshauptmannschaft Koper / Capodistria (14. Februar 1902) über
die Austrittsgründe von Einwohnern im Dorf Boljunec, in: AST, Capitanato dis-
trettuale di Capodistria [Bezirkshauptmannschaft von Koper / Capodistria, weiter:
C.d. Capodistria], Culto [Kultus, weiter: Culto], b. 170, fol. 30–59.
46 Vgl. Valdevit, Chiesa e lotte nazionali, S.
215f.; Gottsmann, Rom und die nationa-
len Katholizismen, S. 73–77.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918