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Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Seite - 129 -
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129Gewalt unter ländlichen Katholiken in der späten Habsburgermonarchie freidenkerischen Ansätze zugrunde, da die Dorfbewohner anscheinend die religiösen (d.h. katholische Praxen und Formalitäten nachahmenden) Zere- monien dennoch brauchten. Die Zeremonien waren also nicht im säkularen Sinne »zivil«, auch wenn sie sowohl von der Bezirkshauptmannschaft als auch den Dorfbewohnern so benannt wurden. Im Sinne von Giorgio Agamben kann die Rede von der Profanierung des religiösen und kirchlichen Raumes sein: Diese macht den religiösen und kirchlichen Bereich allen zugänglich67. Die Forderung nach muttersprachlicher Liturgie betraf eben die Frage, wem und wie Zugang zum kirchlichen Raum verschafft werden sollte. Die »zivilen« Begräbnisse und Taufen lösten die institutionalisierten For- men des religiösen Lebens in Ricmanje eindeutig ab. Ende 1904 berichtete Edinost, die nationalliberale, slowenischsprachige Tageszeitung aus Triest, triumphierend, dass in den letzten zwei Jahren in Ricmanje ca. 30 »zivile« Beerdigungen stattfanden und ca. 70 ungetaufte, uneheliche Kinder gebo- ren wurden  – für das Blatt »ein fast phänomenaler Erfolg«68. Auch nach außen hin inszenierte sich Ricmanje bewusst als ein rebellisches Dorf: Auf einer Postkarte, die einfach das Dorf in seiner bergigen Umgebung zeigte, rühmte sich Ricmanje etwa als »die erste slowenische Gemeinde der heiligen katholischen Kirche griechischen Ritus mit altslawischer Liturgiesprache«69, obwohl ein Rituswechsel weiterhin nicht erlaubt wurde. Eine solche Selbst- darstellung kann wiederum  – wie die »zivilen« Zeremonien selbst  – einerseits als Provokation gegen die Amtskirche, andererseits als Ausdruck des Wun- sches, weiterhin katholisch zu bleiben, verstanden werden. Die Zeremonien der »zivilen« Begräbnisse, Taufen und Trauungen wurden ab 1907 ebenso als Postkartenmotive festgehalten und bewahrt (siehe Abbildung). Die national- liberale Zeitung Slovenski Narod forderte »alle nationalen Trafiks« auf, diese Postkarten im Sortiment zu haben70, und das Blatt berichtete stolz darüber, dass die Postkarten sogar die Abgeordneten der russischen Duma erreicht haben sollen71. Dorfkaplan Don Krančič konnte letztendlich die Zustände in Ricmanje nicht mehr aushalten, er wurde im Dorf eindeutig abgelehnt  – dies zeigte sich symbolisch an den »zivilen« Begräbnissen. Auch Gewaltakte gegen ihn ereig- neten sich, wenn diese auch nicht schwerwiegend und kein Dauerzustand waren. Im Juni 1903 wurde er immerhin zuerst für mehrere Monate beur- laubt, dann Anfang 1904 in ein anderes Dorf versetzt. Mehr als ein Jahr lang 67 Vgl. Giorgio Agamben, Profanierungen. Übersetzt aus dem Italienischen von Mari- anne Schneider, Frankfurt  a.M. 2015, S.  74f. 68 Edinost, 29.  Dezember 1904. 69 AST, C.d.  Capodistria, Culto, b. 170, fol.  490. 70 Slovenski Narod, 6.  November 1907. 71 Ebd., 3.  November 1907.
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Glaubenskämpfe Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Titel
Glaubenskämpfe
Untertitel
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Herausgeber
Eveline Bouwers
Verlag
Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
Datum
2019
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-666-10158-8
Abmessungen
15.9 x 23.7 cm
Seiten
362
Schlagwörter
19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
Kategorien
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